Dieser Kampf bricht einem das Herz
Die liberale Mitte verurteilt rechten Hass, wie er sich jüngst in Großbritannien zeigte. Unsere Kolumnistin Eva von Redecker hingegen trauert auch um eine verpasste Möglichkeit.
Nach einem fälschlich einem Muslim zugeschriebenen Mord an drei Mädchen kam es im August in vielen britischen Städten zu rechtsradikalen Ausschreitungen. Die überwiegend männlichen, zum Teil jugendlichen Militanten verübten Brandanschläge auf Moscheen, attackierten migrantisch geführte Läden und hetzten gegen Muslime. Als ich im Netz die hassverzerrten, angriffslustigen Gesichter der weißen Nationalisten sah, die insbesondere in den ärmeren, deindustrialisierten Gegenden Englands zu Hause sind, packte mich eine sonderbare Trauer.
Dabei hat man als linke, antirassistische Ökolesbe eigentlich jeden Grund, die Rechten zurückzuhassen. Sie üben Gewalt gegen Unschuldige aus und sie haben einen auch selbst als Feind im Hinterkopf, während sie ihre antimuslimischen Pogrome aufführen. Aber man ist mit diesem Mob junger Rassisten noch nicht fertig, wenn man sie hasst oder scharf verurteilt. In England reagierte die liberale Mitte zum Glück recht zuverlässig, solidarische Menschen schützten Gebäude, und die Justiz beschleunigte Strafverfahren. Die Mitte ist fertig, wenn sie verurteilt hat. Durch die Abgrenzung von Extremen wird sie überhaupt erst zur Mitte.
Vergebene Bemühungen
Aber ernst gemeinte linke Perspektiven, die noch ein Fünkchen weltgeschichtlicher Hoffnung hegen, müssen sich von dieser Weltgeschichte auch immer wieder das Herz brechen lassen. So wird meine Wut auf die Rassisten von einem tiefen Gefühl des Verlusts überdauert. Diese Leute, die könnten sich ja für ihre Interessen einsetzen, ohne darüber zu Unmenschen zu werden. Klassentheoretisch markieren die Aufständischen genau die Grenze zwischen zwei Gruppen. Denen, die zu harter, reizloser lebenslanger Arbeit taugen, die ihnen aber auch kein Eigenheim mehr finanziert. Und denjenigen, die eigentlich gar nicht gebraucht werden, weil die ihrer unterfinanzierten Bildung gemäße Arbeit abgewandert ist oder noch Erpressbareren abgezwungen wird. Die Randalierer könnten diejenigen hassen, die sich leisten können, was ihnen versagt bleibt, und erst recht die, die so absurd reich sind, dass dagegen ganze Volkswirtschaften arm aussehen. Sie könnten darauf pochen, sinnvollere Arbeit zu leisten, eine Art Feuerwehr gegen viele Missstände bilden. Und wir könnten uns zusammen vorstellen, was mit all dem Reichtum alles finanziert werden könnte. Omas Pflegeheim könnte ein Luxushotel sein, die Bahn umsonst, die Bildung sowieso.
Aber sie folgen einem anderen Skript. Selten wurde so klar wie bei den jüngsten englischen Aufständen, dass es andernorts verfasst wird: von Stimmungsmachern im Internet – in diesem Fall sogar von Elon Musk selbst. Deren Lüge, dass es sich bei dem Mörder dreier Kinder um einen kürzlich eingetroffenen muslimischen Asylbewerber handle, ist dabei nur der Schlussstein der rechten Ideologie. Wenn dem so wäre, würde es ja ebenso wenig einen Lynchmob gegen Gotteshäuser und Geschäfte der entsprechenden Religionsgemeinschaft rechtfertigen. Das eigentliche Skript ist weitverbreitet, es ist primitiv und omnipräsent. Es bietet den Unvermögenden Ersatzobjekte – „Eure Familien“, „Euer Volk“, „Euer Land“ – und ruft dazu auf, diese gegen dämonisierte Andere zu verteidigen. Von echtem Besitz ist nirgends mehr die Rede, aber die vermeintliche Notwehr gegen muslimische Migranten umso furioser. Es besteht kein Zweifel daran, dass die rechten Randalierer Menschen töten wollten. Und wenn die Muster so eingefahren sind, zumal in Abwesenheit irgendeiner nennenswerten linken Massenbewegung, die ihre Hoffnungen auch zu erfüllen wüsste, dann ist es zu spät. Die meisten dieser Leute werden nicht mehr die Seiten wechseln, uns bleibt nur, sie zu bekämpfen. Aber es bricht einem das Herz. •
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