Florian Werner: „Es gibt eine Sprache der Zunge, die ohne Worte auskommt“
Sie ist Sprachinstrument und Geschmacksorgan, mit ihr küssen wir unsere Liebsten und strecken sie anderen als Zeichen der Missachtung heraus. Im Interview zu seinem neuen Buch Die Zunge erläutert Florian Werner, warum sich der Geist einer Zeit an ihrer Zungenspitze ablesen lässt.
Herr Werner, Sie haben ein Buch über die Zunge geschrieben. Ein Organ, über das man für gewöhnlich nicht besonders intensiv nachdenkt. Wie kamen Sie auf das Thema Glossa?
Nicht umsonst ist das Buch unserem Familienhund Jim gewidmet. Als wir ihn vor vier Jahren bekommen haben, war ich fasziniert davon, wie dieses Tier unentwegt über seine Zunge kommuniziert. Obwohl Jim, wie der „sprechende Hund“ aus dem berühmten Loriot-Sketch, natürlich keine Wörter artikulieren kann. Wenn es heiß ist, hechelt er und schwitzt über die Zunge. Wenn er sich freut, leckt er einem die Hand oder – wenn man nicht aufpasst – auch mal das Gesicht ab. Irgendwann fing unser damals vierjähriger Sohn an, den Hund zu parodieren, und leckte mir auch freudig das Gesicht ab, wenn ich nach Hause kam – was aber eine ganz andere Qualität hatte als das Lecken eines Hundes. So entstand also bei mir, weniger durch eigenes Lecken als vielmehr durch die Beobachtung unterschiedlichsten Beleckt-Werdens, ein Interesse für dieses Organ, das nicht nur anatomisch faszinierend ist, sondern an dem sich auch viel über die Gegenwart, über kulturelle Gebote und Tabus ablesen lässt. Wie unterscheiden sich die Zungen von Menschen und nicht-menschlichen Tieren? Wer darf seine Zunge wem, wann und unter welchen Umständen zeigen? Warum gilt sie immer noch in vielen Situationen als eklig? Für mich ist die Zunge das Zentralorgan unserer Zeit.
Trotz ihrer Relevanz für das Schmecken, das soziale Miteinander oder intime Beziehungen wurde die Zunge in der westlichen Tradition lange geringgeschätzt. Woran lag das?
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