Hans Jonas und die Atomkraft
Durch die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Rohstoffen ist der Atomausstieg in die Kritik geraten. In Rekurs auf den Philosophen Hans Jonas und seine „Heuristik der Furcht“ wird jedoch deutlich, dass mache Risiken schlicht zu groß sind, um sie einzugehen.
Mit Blick auf die Abhängigkeit von russischen Energieimporten, ist eine erneute Debatte um die Verlängerung der Atomkraft entbrannt. Im März dieses Jahres sprachen sich 70 % der Bundesbürger für eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Meiler aus und auch die FDP lehnt als erste Regierungspartei einen Fristaufschub nicht mehr ab.
Anlass für den Beschluss, bis Ende dieses Jahres auf die Kernkraft zu verzichten, war der Reaktorunfall in Fukushima im Jahr 2011. Die damalige Kanzlerin Merkel begründete den Paradigmenwechsel der deutschen Energiepolitik mit den Worten: „Die Ereignisse in Japan lehrten uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind“.
Dilemma der Moderne
„Dass die Verheißung der modernen Technik in Bedrohung umgeschlagen ist“ veranlasste den Philosophen Hans Jonas bereits in den 1970er-Jahren zum Schreiben seines moralphilosophischen Hauptwerks Das Prinzip Verantwortung. Als Reaktion auf eine aus dem regenerativen Gleichgewicht geratenen Welt entwarf Jonas die Grundlage einer neuen Ethik.
Durch die rasante Entwicklung neuer Technologien bleibt das Wissen über die eigenen Handlungsfolgen hinter der menschlichen Schaffenskraft zurück. Dies ist nach Jonas das Dilemma der Moderne. Bisherige Ethiken konnten die stets in Reichweite liegenden Auswirkungen einer Tat in ihre Bewertung einfließen lassen. In einer hoch technisierten Welt allerdings liegen die Auswirkungen unserer Handlungen oft weit außerhalb unseres Horizonts und sind deshalb nicht mehr abzuschätzen.
Die Verpflichtung zum Sein
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Kommentare
Bezugnehmend auf Atomkraft habe ich eine Anmerkung, deren genaue Quelle ich nicht nennen darf.
Ich war einige Jahre beruflich auch im Großraum Bayern unterwegs. In einem sehr bekannten Wintersportort im Alpenraum war damals (vielleicht noch heute) die Krebserkrankungsquote besonders bei jungen Menschen außergewöhnlich hoch.
Eine große Fachklinik in dieser Gegend, die diesbezüglich viele Patienten betreute, zog den Vergleich, dass dort die Krebserkrankungsquote mit der im Bereich von Atomkraftwerken vergleichbar sei. Daraus lässt sich also rückschließen, dass es im Bereich von Atomkraftwerken mehr Krebserkrankungen gibt, als anderswo, was ja üblicherweise abgestritten wird. Auch die überdurchschnittliche Krebserkrankungsquote in dem Wintersportort wurde „unter den Teppich gekehrt“, um keine Touristen abzuschrecken!