Wer sind "Wir"?
Als Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das!“ aussprach, tat sie dies, um die Deutschen zu einer anpackenden Willkommenskultur zu motivieren. Aber mit der Ankunft von einer Million Menschen aus einem anderen Kulturkreis stellt sich auch eine für Deutschland besonders heikle Frage: Wer sind wir eigentlich? Und vor allem: Wer wollen wir sein? Hört man genau hin, zeigt sich das kleine Wörtchen „wir“ als eine Art Monade, in der sich zentrale Motive zukünftigen Handelns spiegeln. Wir, die geistigen Kinder Kants, Goethes und Humboldts. Wir, die historisch tragisch verspätete Nation. Wir, das Tätervolk des Nationalsozialismus. Wir, die Wiedervereinigten einer friedlichen Revolution. Wir, die europäische Nation? Wo liegt der Kern künftiger Selbstbeschreibung und damit auch der Kern eines Integrationsideals? Taugt der Fundus deutscher Geschichte für eine robuste, reibungsfähige Leitkultur? Oder legt er nicht viel eher einen multikulturellen Ansatz nahe? Offene Fragen, die wir alle gemeinsam zu beantworten haben. Nur das eigentliche Ziel der Anstrengung lässt sich bereits klar benennen. Worin anders könnte es liegen, als dass mit diesem „wir“ dereinst auch ganz selbstverständlich „die anderen“ mitgemeint wären, und dieses kleine Wort also selbst im Munde führen wollten. Mit Impulsen von Gunter Gebauer, Tilman Borsche, Heinz Wismann, Barbara Vinken, Hans Ulrich Gumbrecht, Heinz Bude, Michael Hampe, Julian Nida-Rümelin, Paolo Flores d’Arcais.
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Wie schaffen wir das?
Eine Million Flüchtlinge warten derzeit in erzwungener Passivität auf ihre Verfahren, auf ein Weiter, auf eine Zukunft. Die Tristheit und Unübersichtlichkeit dieser Situation lässt uns in defensiver Manier von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Der Begriff der Krise, aus dem Griechischen stammend, bezeichnet den Höhepunkt einer gefährlichen Lage mit offenem Ausgang – und so steckt in ihm auch die Möglichkeit zur positiven Wendung. Sind die größtenteils jungen Menschen, die hier ein neues Leben beginnen, nicht in der Tat auch ein Glücksfall für unsere hilf los überalterte Gesellschaft? Anstatt weiter angstvoll zu fragen, ob wir es schaffen, könnte es in einer zukunftszugewandten Debatte vielmehr darum gehen, wie wir es schaffen. Was ist der Schlüssel für gelungene Integration: die Sprache, die Arbeit, ein neues Zuhause? Wie können wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, einbinden in die Gestaltung unseres Zusammenlebens? In welcher Weise werden wir uns gegenseitig ändern, formen, inspirieren? Was müssen wir, was die Aufgenommenen leisten? Wie lässt sich Neid auf jene verhindern, die unsere Hilfe derzeit noch brauchen? Und wo liegen die Grenzen der Toleranz? Mit Impulsen von Rupert Neudeck, Rainer Forst, Souleymane Bachir Diagne, Susan Neiman, Robert Pfaller, Lamya Kaddor, Harald Welzer, Claus Leggewie und Fritz Breithaupt.
Was macht Fußball schön?
In Frankreich findet in diesen Wochen die Fußball-Europameisterschaft statt, mit der die populärste Sportart unserer Zeit breite Schichten des Kontinents fasziniert. Doch worin liegt die besondere ästhetische, spielerische und emotionale Attraktivität des Spieles? Man mag es kaum noch glauben. Aber es gab auch eine Welt ohne Fußball. In weniger als 150 Jahren eroberte ein Freizeitvergnügen für englische Internatsschüler den gesamten Erdball. Heute wirkt es als globales Medium der Völkerverständigung, ist Zentrum nationaler Selbstverständnisse, bildet den Lebensinhalt ganzer Familien. Auf der phil.cologne 2013 drangen Volker Finke und Gunter Gebauer gemeinsam in die Tiefen des Spiels vor und legten für uns die verborgenen Schönheiten des „simple game“ frei. Der langjährige Bundesligatrainer Finke und der Sportphilosoph Gebauer im Dialog über die Ästhetik des Kurzpasses, androgyne Helden und die falsche Dogmatik des Jogi Löw.

Hans Ulrich Gumbrecht: „Die Stimme ist weder rein dem Körper noch ausschließlich dem Geist zuzuordnen“
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Hans Ulrich Gumbrecht: „Trump ist nur ein Platzhalter für die Leute, die ihn finanziert haben“
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Sie ist wieder da. Die Frage nach der Identität.
In der gesamten westlichen Welt kehren Identitätsfragen ins Zentrum des politischen Diskurses zurück. Donald Trump stilisierte sich erfolgreich als Anwalt des „weißen Mannes“. Marine Le Pen tritt in Frankreich mit dem Versprechen an, die Nation vor dem Verlust ihrer Werte und Eigenheiten zu bewahren. Auch in Deutschland wird das Wahljahr 2017 von kulturellen Verlustängsten dominiert werden. Das Projekt der Europäischen Union droht derweil zu scheitern. Terrorangst schürt Fremdenfeindlichkeit Wie lässt sich diesen Entwicklungen gerade aus deutscher Sicht begegnen? Mit einem noch entschiedeneren Eintreten für einen von allen nationalen Spuren gereinigten Verfassungspatriotismus? Oder im Gegenteil mit neuen leitkulturellen Entwürfen und Erzählungen? Bei all dem bleibt festzuhalten: Identitätspolitik war in den vergangenen Jahrzehnten eine klare Domäne linker Politik (u. a. Minderheitenrechte, Genderanliegen). Sind bestimmte Kollektive schützenswerter als andere? Was tun, damit unsere offene Gesellschaft nicht von Identitätsfragen gespalten wird?
Julian Nida-Rümelin: „Die Annahme ‚Wir sitzen alle im selben Boot‘ setzt falsche Anreize für die staatliche Praxis“
In der Corona-Pandemie avancierte „Solidarität“ zu einem Kampfbegriff. Legitimiert wird mit ihm die Fortführung der Maßnahmen und Überlegungen zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Aber wird Solidarität so richtig verstanden? Ein Interview mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin anlässlich der heutigen Bund-Länder-Runde.

Kommentare
Zu Paolo Flores d' Arcais: Gotteslästerung
Seit ein paar Jahren wird man zu den Religionen und Ideologemen wohl auch den Wokeismus hinzufügen müssen. Genauso wie bei Religionen gibt es auch hier sektiererische Unterabteilungen, die sich - wie Scientology - durchaus wissenschaftlich gebärden.