Alles andere als obszön
Die kürzlich in El Higuerón (Spanien) entdeckte Penisskulptur ist mit ihren fünfzig Zentimetern die größte phallische Darstellung der Römerzeit. Warum verehren die Menschen seit Jahrtausenden das männliche Geschlechtsorgan?
Tantrische Lingams, griechische Phallus-Prozessionen zu Ehren von Dionysos, römische Amulette in Penisform, afrikanische Holzfiguren, die das aufgerichtete Geschlechtsteil zeigen, Felsgravuren mit ithyphallischen Darstellungen: Die Verehrung des Phallus existiert – wenn auch in unterschiedlicher Form – auf sämtlichen Erdteilen und in beinahe allen Kulturen. Wie das japanische Kanamara-Matsuri-Festival bezeugt, das seit 1969 wieder jährlich stattfindet, handelt es sich dabei keineswegs um ein bloßes Relikt der Vergangenheit. Woher kommt dieser nahezu universelle Kult?
Der französische Historiker Jacques-Antoine Dulaure stellte sich diese Frage bereits 1805 in Des Divinités génératrices, im Kapitel über den „Ursprung des Phallus und seines Kults“. Dulaure beginnt damit, jene Interpretationen zu widerlegen, die den „Ursprung ganz einfach der Verdorbenheit (corruption) und der Ausschweifung (libertinage) bestimmter Völker“ zugeschrieben haben. Auch wenn das Zeremoniell den meisten modernen Menschen als „unanständig“ erscheinen mag, war das „in der Antike nicht der Fall“. Der Anblick einer phallischen Darstellung „weckte keine obszönen Vorstellungen“, sondern wurde „im Gegenteil als einer der heiligsten Gegenstände“ verehrt.
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