Warum fasten?
Die Kulturtechnik des Fastens steht für mehr als nur freiwilligen Nahrungsverzicht. Sie ist seit Jahrtausenden Teil des bewussten Strebens, das Verhältnis zum eigenen Selbst und zur Welt zu erneuern. Über die philosophischen Wurzeln eines neuen Massenphänomens.
Über mehrere Tage oder sogar Wochen hinweg auf die Nahrungsaufnahme verzichten –auf den ersten Blick gibt es wohl kein widersinnigeres Gebot. Warum in aller Welt sollten Wesen wie wir uns – freiwillig – der faktischen Grundlage unseres Daseins berauben? Als ob das Leben nicht an sich hart genug wäre. Und doch zählt das Fasten zu den ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Sämtliche Weltreligionen kennen es als zyklisch wiederkehrenden Imperativ der Selbstüberwindung. Auch in den antiken Schulen der Lebenskunst galt das Fasten als fester Bestandteil einer gelingenden Lebensführung. Die Philosophen des alten Griechenlands verstanden unter askesis (von askeín, dt. „sich üben, sich befleißigen“) zunächst ganz allgemein sowohl körperliche Übungen der Ertüchtigung und Enthaltsamkeit als auch eine geistige Schulung zur Einübung der Tugend. Dieser Askese-Fokus hatte je nach Schule unterschiedliche Ausprägungen. Während die Stoiker auf innere Ruhe und Freiheit zielten, zogen die Kyniker wie sonderliche Wandermönche durch die Gegend.
Spezifische Überlegungen zum Sinn des Fastens sind vor allem von Epikur überliefert. Wie Seneca in seinen „Briefen über Ethik an Lucilius“ schrieb, fastete Epikur vor allem, um sich seine Lebenslust zu erhalten. Er wollte sich schlicht dazu erziehen, sein Dasein auch ohne Luxus genießen zu können, für den Fall, dass dieser ausblieb – also für Notzeiten des Hungers. Es ging ihm, so Seneca, auch darum, körperliche und geistige Ermüdung zu vermeiden. An erster Stelle aber stand das Ziel, eine nachhaltigere Form der Lust zu kultivieren. Für Epikur regeneriert und intensiviert das Fasten unsere seelische Erlebnisfähigkeit; ein Ansatz, der auch für unser heutiges Essverhalten besonders plausibel erscheint. Schließlich haben wir, zumindest in den Wohlfahrtsgesellschaften des Westens, weitgehend vergessen, was es bedeutet, Hunger zu leiden. Die derzeitige Fastenrenaissance spielt sich damit vor der Folie einer Epoche ungeahnter, luxuriöser Fülle ab, einer Kultur, in der die meisten Menschen die ganze Zeit essen. Noch vor zwei Jahrzehnten hielten Eltern ihre Kinder dazu an, zwischen den Mahlzeiten nichts zu sich zu nehmen. Damals ließen wir, verschiedenen Studien zufolge, etwa viereinhalb Stunden zwischen den Mahlzeiten verstreichen, heute sind es nur noch drei. Außerdem nimmt ein europäischer Durchschnittsbürger heute am Tag durchschnittlich über 300 Kalorien mehr zu sich als damals. Wir alle sind uns der gesundheitlichen Folgen dieses Essverhaltens bewusst. Meistens ändern wir trotzdem nichts daran. Wir leben in einer Zeit, in der für viele Menschen das Essen mit kurzfristiger Freude verbunden ist, aber mit einem langfristigen, antiepikureischen Abbau an Lebenslust.
„Wer mit permanenter Fülle konfrontiert wird, sehnt sich nach Leere“, schreibt der Philosoph Thomas Macho in einem Essay zur „Aktualität des Verzichts“. Für ihn sind die neuen, asketisch wirkenden Lebensansätze, und besonders die Formen des Fastens, eine „Funktion des Konsums“, die „zur Vermeidung von Überdruss und Sattheit“ beiträgt – der integrale Bestandteil und die notwendige Begleiterscheinung einer Dialektik des Zuviel. Die existenzielle Bedeutung der Unterscheidung zwischen „leer“ und „voll“, die für frühere Generationen zum kollektiven Wissen gehörte, sei uns heute schlicht unbegreiflich, so Macho. Wir sind daran gewöhnt, dass immer etwas da ist. Der seltsame Effekt dieser Fülle sei jedoch, dass wir weder wirklich verstehen, was „voll“ noch was „leer“ bedeutet. Denn das eine können wir nicht ohne das andere wahrnehmen. Schon der radikale rumänisch-französische Philosoph Emil Cioran hatte diese Dialektik auf den Punkt gebracht: „Die Leere“, so Cioran, sei „die Bedingung der Ekstase, ebenso wie die Ekstase die Bedingung der Leere ist“.
Obwohl das Fasten seit Jahrtausenden praktiziert wird, ist es erst in den vergangenen Jahren gründlich medizinisch erforscht worden. Wie der britische Arzt Michael Mosley, eine Art Medienguru der angelsächsischen Fastenbewegung, herausstellt, sind dabei populäre Annahmen wie die, dass sich der Körper durch das Fasten „entgiften“ würde, als Irrtümer entlarvt worden. Die Idee der „Detox“ ist eine Erfindung der Beauty-Industrie. Dafür hat das Fasten erstaunlich positive Wirkung auf die Adaptions- und Selbstschutzfähigkeit unserer Körperzellen und auf unser Immunsystem. Menschen, die regelmäßig fasten, leiden zudem weniger unter Bluthochdruck und Übergewicht, unter Asthma und Arthritis. Sie leiden seltener unter Demenz, Alzheimer und psychischen Störungen, haben ein geringeres Risiko für bestimmte Krebsarten und bleiben auch im Alter länger gesund. Wenn zeitgenössische Philosophen sich mit dem Fasten auseinandersetzen, überwiegen dennoch abwertende Töne. Sämtlichen Spielformen der Askese hafte, so die Einschätzung, etwas Lustminderndes, Selbstgerechtes, gar Zölibatäres an. So wird diesen Enthaltungsübungen wie dem Fasten allenfalls der Status einer neurotischen Form der Lebensbewältigung zugestanden.
Selbstsorge oder Narzissmus?
Die bekannteste Stimme dieser Château-Pétrus- und Foie-Gras-Fraktion ist der österreichische Philosoph Robert Pfaller. Asketische Praktiken sind für ihn „trübsinnige Leidenschaften“ und „reaktionäre Affekte“, in denen ein „Begehren nach Unterdrückung“ zum Ausdruck komme. Askese stellt für ihn immer ein zutiefst „narzisstisches“ Verhalten dar. Was gut klingt, bis man sich verdeutlicht, was Pfaller alles zu diesen Verhaltensweisen zählt. Neben dem Fasten gehören für ihn dazu auch das Joggen, der Verzicht auf Zigaretten oder auf Alkohol und sogar der Wunsch, sich seine schiefen Zähne richten zu lassen.
Fasten und Askese als historisch veraltete und potenziell heuchlerische Zwangsübungen zu verurteilen, hat in der neuzeitlichen Philosophie gute Tradition. Bei genauerer Betrachtung wird hierbei eine Textbewegung deutlich, die sich als „Einfluss-angst“ gegenüber religiösen Aspekten beschreiben lässt, als eine Form der Abwehr gegenüber den als unphilosophisch empfundenen Sinnstiftungsfähigkeiten dieser Praktiken. Immanuel Kant etwa verurteilte in seiner „Metaphysik der Sitten“ deutlich jene „Mönchsascetik“, die aus „abergläubischer Furcht, oder geheucheltem Abscheu an sich selbst mit Selbstpeinigung und Fleischeskreuzigung zu Werke geht“. Sich „eine Pönitenz auferlegen (z. B. durch das Fasten)“ sei „freudenlos, finster und mürrisch“ und der „Tugend verhaßt“. Selbst für Arthur Schopenhauer, nach seinem Studium der fernöstlichen Philosophie kein Gegner der Askese an sich, gibt es in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ eine „Askese im engeren Sinne“, die er als „überflüssig“ verwirft. Das Fasten zählte er dazu ebenso wie „das Aufgeben jedes Eigentums (…), die Selbstpeinigung, das härene Hemd und die Kasteiung“. Friedrich Nietzsche schließlich ging in seiner „Genealogie der Moral“ am weitesten in seiner polemischen Verurteilung asketischer Praktiken. Für ihn stellen sie nichts weiter als eine alberne Ideologie der Leidensaufwertung dar – ein „Kranken-Pharisäismus (…) mißvergnügter, hochmüthiger und widriger Geschöpfe, die (…) sich selber so viel Wehe thäten als möglich (…) – wahrscheinlich ihrem einzigen Vergnügen.“ Erst im Spätwerk des französischen Philosophen Michel Foucault bildet die Askese und damit auch das Fasten wieder einen ernst zu nehmenden Reflexionsgegenstand.
Mikrophysik der Macht
Zu Beginn der achtziger Jahre griff Foucault auf die antike Bedeutung des askesis-Begriffs als geistige Übung und Körpertraining zurück. Von der christlichen Tradition war diese Bedeutung lange verdeckt worden. Asketische Praktiken sind für Foucault vor allem „Technologien des Selbst“, Verhaltensweisen, die auf Selbstermächtigung, Selbstregulierung und die Einübung von etwas Neuem zielten. Aufschub, Verzicht und Sublimierung sind Teil eines zivilisatorischen Schlüsselhabitus, der nicht nur das Individuum, sondern auch Gesellschaftskörperbilder und soziale Identitäten produziert. Diese „Sorge um sich selbst“ ist dabei allerdings ein zutiefst dialektisches Phänomen. Denn in der Regel basiert ihre Ausrichtung auf anonym produzierten und kollektiv geteilten Druckverhältnissen. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben fasste diese alltagsprägenden Kräfte unter dem Begriff des „Dispositiv“ als ein „Ineinander von Praktiken, Kenntnissen, Maßnahmen und Institutionen (…), deren Ziel es ist, das Verhalten, die Gesten und die Gedanken der Menschen zu verwalten, zu regieren, zu kontrollieren und in vorgeblich nützliche Richtungen zu lenken.“ In unserer heutigen Stress- und Überwachungsgesellschaft finden Selbstdisziplinierung und Askese demnach immer auch im Dienst einer „Mikrophysik der Macht“ statt.
Diese dunkle Seite asketischer Selbsttechnik öffnet auch den Blick für einen irritierenden Aspekt des Fastens. Es hat vereinzelt die Tendenz, ins Extrem umzuschlagen, ins Pathologische und Zwanghafte. Syrische Wüstenheilige versuchten, ihr ganzes Leben nach den 40 Tagen auszurichten, die Jesus fastend in der Wüste verbrachte, um seiner Dämonen Herr zu werden. In der frühen Neuzeit wimmelte es von sogenannten „Fastenwundern“, jungen Damen, die vorgaben, ohne Nahrung auszukommen. Nahrungsverweigerung war auch für die Frauenfiguren der Goethezeit ein adäquater Weg, ihre „schöne Seele“ auszudrücken. Und noch im 19. Jahrhundert zogen sogenannte „Hungerkünstler“ durch die europäischen Städte und ließen sich dabei zuschauen, wie sie wochenlang nichts aßen. Die moderne Erscheinungsform dieser Phänomene ist die Anorexie, eine der gefährlichsten psychischen Störungen. Diese Verhaltensweisen tragen den omnipotenten Fantasieraum jeder asketischen Praktik quasi als Symptom nach außen.
Der auf diese Art fastende Asket strebt immer nach dem Absoluten. Er verfolgt das Ideal einer völligen Freiheit von weltlichem Begehren. Heimlich sucht er nach einem Ort, an dem kein profanes Leiden mehr herrscht und keine Angst, sondern nur noch körperlose Lust und Geistigkeit. Oft genug ist dieser Ort gleichbedeutend mit Auslöschung. Gorgias, einer der angesehensten griechischen Vorsokratiker, setzte seinem Leben der Überlieferung nach mit 108 Jahren durch bewusstes Fasten ein Ende. Noch gut 2500 Jahre später tat es ihm die große französische Philosophin, Anarchistin und Neo-Gnostikerin Simone Weil nach und hungerte sich 1943 im Alter von 34 Jahren zu Tode, weil sie glaubte, so einen Zugang zum Göttlichen zu erlangen. „Der Hunger der Seele ist schwer zu ertragen“, schrieb sie wenige Wochen, bevor sie starb. „Aber wer einen Augenblick lang die Leere erträgt, der empfängt entweder das übernatürliche Brot, oder er fällt.“
Innere Ökologie
In der Regel haben Fastenkuren natürlich nichts mit solchen Extremfällen zu tun. Im Gegenteil, aufgeklärt Fastende tun alles, um sich von solchen Hungerphänomenen abzugrenzen. Und in der Tat stellen die meisten fastenden Menschen fest, dass ihr leitendes Motiv nicht Todessehnsucht, sondern Lebensbejahung ist. Der Fastende grenzt sich eine Zeit lang vom „normalen“ Leben ab, steigt aus, kommt so zu einer neuen Konzentration, schärft seinen Fokus für die Welt und für das Leben, das er eigentlich führen möchte.
Der Phänomenologe und Ethiker Emmanuel Lévinas hat dem Essen einen besonders bedeutenden Platz in unserer Positionierung zur Welt und zum Anderen eingeräumt. Er sieht in unserem Umgang mit Nahrung einen der Hauptwege, wie wir die Welt in uns aufnehmen, uns zu ihr in Beziehung setzen. Nahrung ist für ihn etwas, das der Vernunft vorgängig ist, ja das die Vernunft zum Scheitern bringt. Der Vollzug der Nahrungsaufnahme, so seine These in „Totalität und Unendlichkeit“, ist immer schon Teil unserer ethischen Auseinandersetzung mit der Welt.
Und wie könnte man sich besser dieses Punktes bewusst werden, wie könnte man dieses oft außer Balance geratene Verhältnis zur Welt besser wieder ins Lot bringen, als für gewisse Zeit ganz auf Nahrungsaufnahme zu verzichten? Das Fasten kann in vieler Hinsicht ein regulatives Element in unserer inneren Ökologie und unserem Verhältnis zur Welt sein. Es leuchtet physisch und psychisch eine der elementarsten Schwellen unseres Menschseins aus. Es macht uns den inneren Widerstreit zwischen der „Kultur“ und der „Natur“ des Menschen bewusst, zeigt uns sowohl die Bedingungen als auch die Grenzen unserer Körper auf. Alle Menschen, die fasten, stellen fest, dass sie normalerweise oft essen, auch wenn sie gar nicht essen müssen. Dass sie oft nur aus Gewohnheit oder Langeweile essen oder weil sie glauben, dass sie später hungrig sein könnten. Die meisten Menschen, die fasten, machen beim Fasten die Erfahrung einer ungewöhnlich geistig-seelischen Klarheit.
Offenheit für das Wesentliche
Das größte philosophische Potenzial des Fastens liegt in dieser Perspektivverschiebung, die auch über den Fastenzeitraum hinaus in das Leben ausstrahlt. Es liegt in der Bewusstmachung unserer mit dem Essen verbundenen Wahrnehmungsmuster – und damit unseres elementaren Weltzugangs. Fasten bedeutet immer auch, dass wir unsere inneren Standardeinstellungen überdenken und der Welt mit einer neuen Offenheit für das Wesentliche begegnen. Dieser Perspektivwechsel ist auf keine andere Weise zu haben. Keine andere „Technologie des Selbst“ kann das stetige Wechselspiel zwischen Selbstaufgabe und Selbstermächtigung, Mangel und Fülle, Verzicht und Exzess so erfahrbar machen. Keine andere verdeutlicht derart eindrücklich, dass unsere Versuche maßzuhalten immer schon die Gefahr bergen, in Maßlosigkeit umzuschlagen. Keine andere sorgt dafür, dass wir wieder mit einer der fundamentalen Facetten unseres Menschseins vertraut werden: der Erfahrung und dem Wissen, was „leer“ und was „voll“ bedeutet.
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