Beseelung, Schutz und Steigerung
Die Weltgesellschaft lässt sich nicht steuern. Aber man kann das Driften lernen. Peter Sloterdijk erfindet Begriffe zur Navigation durch die Unsicherheit.
Sphären
In seinem dreibändigen Hauptwerk Sphären entwirft Peter Sloterdijk eine Theorie des geteilten Raumes: Der aus der Geborgenheit des Uterus entlassene Mensch will sich Ersatz schaffen. Das gelingt allerdings nur über feinere, fragilere Verbindungen: Stimmungen und Beseelungsversuche bilden „Gefühlskreise“, die Sloterdijk als „Blasen“ bezeichnet. Familien, Freundschaften, Arbeitsbeziehungen und Gesellschaften sind „gehauchte Räume“, die entstehen und vergehen, sich teilen und zusammenschließen, sobald sich die Stimmungslage ändert. Das Individuum ist lediglich ein Effekt dieser wabernden Raumentwicklung und zu permanenter Veränderung angehalten. Leben ist Umziehen, könnte man mit Sloterdijk sagen. Und
die Weltgeschichte auch. Das Denkbild Blase hat Folgen für die Gesellschaftstheorie: Man kann – ja, man muss – an der Beseelung des geteilten Raumes mitwirken. Atmopolitik wird zur zentralen Aufgabe. Aber sie kann nicht alles. Ein Stück Wildwuchs bleibt. Blasen lassen sich nicht kontrollieren, sie sind das Ergebnis „gemeinsamer Halluzinationen“ und „kollektiver Erregungen“. Gänzlich unkontrollierbar wird es, wenn Blasen „Schäume“ bilden, wilde Haufen, auf denen die Menschen zusammengeworfen und voreinander getrennt sind. Das ist, so Sloterdijk, der Zustand der Globalisierung, in dem sich „Stabilität durch Liquidität“ ergibt. Da bleibt nur, bei aller inneren Euphorie, gelassenes Driften. Der sloterdijksche Champion der globalen „Synchronwelt“ ist ein spiritueller Surfer.
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