Denkt endlich planetarisch!
Dipesh Chakrabarty erinnert die Spezies Mensch daran, dass sie nicht im Zentrum steht – mit seiner Forderung nach radikalem Wandel wirft der Historiker und Klima-Theoretiker aber auch Fragen auf.
Der Titel enthält eine doppelte Irritation. Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty legt nicht etwa eine Geschichte des Klimas vor, sondern Überlegungen zum „Klima der Geschichte“. Das Klima ist für ihn also nicht das Objekt der Geschichtsschreibung, sondern ihr Ausgangspunkt als dynamischer Prozess, auch wenn der menschengemachte Klimawandel durchaus Gegenstand der Sorge bleibt. Gewidmet hat Chakrabarty, der als Denker des Postkolonialismus und in der Folge auch als Theoretiker der Klimakrise international bekannt wurde, sein neues Buch all den Menschen und allen anderen Lebewesen, die bei den Feuerstürmen in Australien 2019/2020 und durch einen Zyklon im Golf von Bengalen 2020 ums Leben gekommen sind. Damit beherzigt er seine zentrale Forderung, den humanozentrischen Blick auf die Weltgeschichte zu überwinden. Der „planetarische“ Maßstab, so Chakrabarty, unterscheidet sich vom globalen nicht zuletzt dadurch, dass es dabei um das Leben in all seinen Erscheinungsweisen geht und nicht einfach nur ums Überleben der Menschheit.
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