Die Sache mit dem Handtuch
Wer aus der Dusche kommt, weiß: Auch ein nasses Handtuch trocknet den Leib. Solch einen „schmutzigen Pragmatismus“ sollten wir uns zu eigen machen.
Wie klaglos der Mensch mit suboptimalen Lösungen leben lernt, kein Gegenstand des täglichen Gebrauchs zeigt es eindrücklicher als das gemeine Handtuch. Seit Beginn unserer Zivilisation dasselbe, potenziell überlebensentscheidende Problem: Wie wird ein dem Bade entsteigendes Individuum wieder trocken? Und seit eben jenen Anfängen die eine, indes vielfach unzureichende Antwort: per Stoffhandtuch.
Gewiss, Art und Material der Textilien mögen sich entwickelt haben. Vor allem in Sachen Saugkraft und Flauschigkeit. Wodurch allerdings nur umso deutlicher ein Ausschließlichkeitsverhältnis hervortrat, das bis heute jeden Handtucheinsatz spürbar bestimmt und belastet: je flauschiger das Stöffchen, desto schwächer der erwünschte Effekt. Die existenzielle Grundspannung zwischen Komfort und Effizienz des Handtuchs offenbart sich bis heute als unauflösbar. Womit die Paradoxien aber erst eigentlich anfangen. Schließlich wissen wir alle aus ureigener Erfahrung: Mag man einander oder sich selbst auch noch so versiert rubbeln und schrubbeln, vollends trocken wird so doch kein Mensch. Es wirkt wie verhext: Stets bleibt ein kritisches Nässequantum unerfasst.
Lebensfrohe Vernunft
Ob dies nur daran liegt, dass es beim Handtuch just der Grad des faktischen erzielten Abtrocknungserfolgs ist, der dem Erreichen des Ideals, also dem vollends abgetrockneten Leib, im Wege stehen muss? Schließlich gilt bis heute in allen möglichen Badewelten: Je trockener der einst nasse Leib, desto feuchter das einst trockene Handtuch. Oder ginge die Handtuchproblematik sogar hierüber hinaus und verwiese mit aller Alltagsmacht auf ein geradezu ontologisches Grundverhältnis: das des uneinholbaren Rests? Kaum jedenfalls, dass man sein Rubbeln einstellte, perlt es erneut eigensinnig aus zahllosen Körperfalten und Nischen, besonders gern auch hinterrücks den Leib hinab.
Unbestreitbar richtig bleibt, gegen alle Erwartung und Semantik, indes dies: Man kann sich auch mit einem nassen Tuch abtrocknen. Womit das Handtuch geradezu beispielhaft für jene Erkenntnishaltung eines restfrohen Pragmatismus stünde, die größte und mutmaßlich reinste Forscher leitete. Wie einst etwa den Quantenphysiker Niels Bohr. Als dessen Kollege Werner Heisenberg, anlässlich eines gemeinsamen Aufenthalts auf einer Berghütte, mögliche hygienische Verwerfungen hinsichtlich des dortigen Geschirrhandtuchs anmahnte, erwiderte Bohr nämlich: „Mit dem Geschirrwaschen ist es doch genau wie mit der Sprache der Physik: Wir haben schmutziges Spülwasser und schmutzige Küchentücher, und doch gelingt es, damit die Teller und Gläser schließlich sauber zu machen.“
Eben. Einmal nass, werden wir so ganz und gar trocken auf dieser Welt nicht mehr werden. Und auch nicht ganz und gar rein. Weshalb sich „schmutziger Pragmatismus“ von jeher als erstes Prinzip der handelnden, lebensfrohen Vernunft anempfiehlt. Genau das ist es auch, was uns das Handtuch seit Jahrtausenden bereits am frühen Morgen bedeuten will. Gleich einem existenziellen Wink für alle Tage – und gerade die kommenden. •