Die Sache mit dem Wecker
Der morgendliche Weckruf ist mehr als eine Zumutung. Der mit ihm verbundene Willenskampf führt uns geradewegs hinein in die mystischen Dimensionen des Daseins. Eine Kolumne von Wolfram Eilenberger.
Allzu leicht wird im morgendlichen Tran der durch und durch paradoxe Charakter eben jenes technischen Hilfsmittels übersehen, ohne dessen Existenz unser modernes Leben undenkbar wäre. Schließlich handelt es sich bei Weckern um Geräte für Wesen, die zu einem Zeitpunkt aufstehen wollen, an dem sie nicht aufstehen wollen. Und zwar, nachdem sie sich zu einer Stunde haben wecken lassen, zu der sie aus eigenen Stücken nicht und niemals aufgewacht wären. Wecker klingeln also genau dann pünktlich, wenn sie aus Sicht des ihnen dienenden Individuums zu früh klingeln. Oder anders gefasst: Ein Wecker, der uns nicht gehörig auf selbigen geht, ist keiner.
Immer größere existenzielle Bedeutung nimmt in diesem Erweckungszusammenhang, sehen wir es richtig, die Phase zwischen dem ersten fremdbestimmten Aufwachen und dem Akt des selbstbestimmten Aufstehens an. Beim in der heutigen Welt zumeist digitalen Wecker wird sie durch die Snooze-Funktion auf dem Smartphone bestimmt und begrenzt (gleichsam als ein sich wiederholendes Wecken nach dem Wecken). Das englische Verb „snooze“ lässt sich im Deutschen als „dösen“ übersetzen. Es benennt damit einen Bewusstseinszustand zwischen Schlafen und Wachen, den Mystiker aller Kontinente und Epochen als jenen höchster geistiger Klarheit auszeichneten und deshalb einer zeitentlasteten Kultivierung empfahlen.
Snoozend zur Selbsterkenntnis
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Kommentare
Noch nie hat mich ein Artikel so überzeugend zur Willenlosigkeit angestiftet!