Direkt zum Inhalt
Menu Top
    PhiloMag + Hefte kaufen Abonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Begriffslexikon
  • Bücher
rechercher
Suchen
Menu du compte de l'utilisateur
    PhiloMag + Hefte kaufen Abonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Begriffslexikon
  • Bücher

Illustration: © Emmanuel polanco, Bildvorlage: FineArtImages/Leemage

Klassikerdossier

Dostojewski und die Schuld

Michel Eltchaninoff veröffentlicht am 14 Mai 2015 8 min

In seinen Romanen begegnet man Ausgestoßenen, Schwachsinnigen, Spielern – und vor allem Mördern. Als Meister des metaphysischen Krimis lässt uns der russische Schriftsteller Fjodor Dostojevski in die Abgründe der menschlichen Natur blicken. Ihm zufolge sind wir alle schuldig. Das Gefühl der Schuld ist dabei nichts Zufälliges, sondern die Grundlage aller Existenz. In seinem Essay beleuchtet Michel Eltchaninoff die daraus resultierende Ethik Dostojewkis.

Albert Camus war ein großer Dostojewski-Leser: In seinem Buch Der Fall erwähnt er eine mittelalterliche Folterzelle, die er „Un-Gemach“ (malconfort) nennt. Diese ist so eng, dass der darin lebenslänglich Gefangene weder aufrecht stehen noch liegen kann. Mit diesem Bild führt uns Camus das erdrückende Leid der Schuld vor Augen: Es ist schwierig, mit dem Gefühl fertig zu werden, nicht richtig geliebt, schlecht gehandelt, etwas schlecht gemacht zu haben. Wir glauben, uns als moderne Menschen von alten Autoritäten – Göttern, Vätern, Traditionen – befreit zu haben, indem wir sie infrage stellten, leugneten, ja „umbrachten“. Doch die Schuld, die wir damit zur Tür hinausbefördert zu haben meinten, ist zum Fenster wieder hereingekommen. Denn der Versuch, die großen Anderen hinauszuwerfen, war vergeblich. Umso mehr schämen wir uns vor den „kleinen Anderen“ und uns selbst. Sind wir der Größe unseres Begehrens gewachsen? Sind wir des Vertrauens unserer Nächsten, unserer Kollegen, der Gesellschaft würdig? Warum war man heute Morgen so gestresst und hat sich den Tag dadurch verdorben, dass man immer wieder daran gedacht hat? Es ist eine Eigenheit der Schuld, dass sie sich selbst nährt.

 

Echte und imaginäre Verbrechen

 

Der russische Schriftsteller Dostojewski kannte den Sumpf der Schuld wie seine Westentasche. Er ist 17 Jahre alt, als er vom Tod seines Vaters erfährt – einem niederen Adligen und Alkoholiker, der seine Umgebung gern schikanierte. Vermutlich wurde er von seinen Leibeigenen ermordet; das juristische Verfahren dazu wird jedoch eingestellt. Angesichts dieser symbolischen Leere musste der junge Dostojewski sich fragen, wer die größere Schuld trug: der adelige Vater, der seine Bauern tyrannisierte, oder die Untergebenen, die ihren Herrn hassten? Hat nicht auch er den Tod seines Vaters herbeigewünscht? In einem Brief, in dem er die Ermordung seines Vaters erwähnt, kommt er zu dem Schluss: „Der Mensch ist ein Geheimnis (…) Ich beschäftige mich mit diesem Geheimnis, denn ich will ein Mensch sein.“

In den folgenden Jahren steht Dostojewski den utopischen Sozialisten nahe und empört sich über die Ungerechtigkeit der Leibeigenschaft, der Zensur und der Willkür des Zaren. Doch seine Überzeugungen werden mit Strafen quittiert. 1849 wird er schließlich verhaftet und zum Tode verurteilt. Am Tage der Hinrichtung selbst wird seine Strafe umgewandelt in vier Jahre Arbeitslager und anschließend sechs Jahre Verbannung nach Sibirien. Am selben Abend schreibt er seinem Bruder: „Noch nie sind mir so reichhaltige und gesunde Vorräte an geistigem Leben aufgekeimt wie jetzt.“ Er hat seine Rettung in dieser Prüfung gefunden, als ob das Verbüßen einer Strafe ihn von einer noch grundlegenderen Schuld befreien würde.

Dostojewskis gesamtes Werk ist durchzogen von der Suche nach einer Antwort auf die Frage der Schuld: Woher kommt sie? Und vor allem: Wie damit umgehen? In Schuld und Sühne stellt Dostojewski die (seiner Ansicht nach vergeblichen) Versuche dar, sich ihrer zu entledigen. Der Protagonist Raskolnikow ist ein stolzer Student, der versucht, „ohne Kasuistik“ und ohne Gewissensbisse zu töten. Er ermordet eine Wucherin und deren Schwester, um ein wenig Geld zu stehlen. Der Roman zeigt Raskolnikows langsamen Weg zur Anerkennung der eigenen Schuld. Dostojewski stellt dabei einige „entschuldigende“ Ideologien seiner Zeit an den Pranger. Eine davon, die sogenannte „Milieutheorie“, spricht jede schlechte Handlung im Namen gesellschaftlichen Leides frei. Doch Dostojewski zufolge müsse „das Laster immer noch Laster genannt“ werden. Er kritisiert auch die Psychiatrie seiner Zeit, die Verbrecher für nicht schuldfähig erklärt mit der Begründung eines „plötzlichen Wahnsinnsanfalls“. Der junge Mörder Raskolnikow hingegen, der sich der Polizei gestellt hat, versucht gar nicht zu entkommen! Dostojewski lehnt jene Theorien ab, die Schuld als situativen Automatismus verstehen, und sieht in der Schuld mehr als nur eine situationsbedingte Verirrung.

 

Schuld als Rechtfertigung

 

Als Dostojewski zehn Jahre später aus Sibirien zurückkehrt, ist er sich seines Erfahrungsschatzes bewusst. Anders als die großen Schriftsteller seiner Zeit hatte er Umgang mit dem einfachen Volk, hat dessen Abgründe und Schönheiten studiert. Er ist davon überzeugt, den Charakter des Verbrechers verstanden zu haben, und spricht von nun an nur noch über den Unterschied zwischen der Unschuld vor dem Gesetz und der inneren Schuld, wenn er in seinen Romanen über intellektuelle Mörder schreibt („Schuld und Sühne“), über Mörder aus Leidenschaft (Der Idiot), über Menschen, die aus politischen Gründen töten (Die Dämonen), und schließlich über Vatermörder (Die Brüder Karamasow). Hatte Dostojewski selbst sich etwas vorzuwerfen? Er hatte einen schwierigen Charakter und seine Feinde haben sich bemüht, ihm die scheußlichsten Verbrechen anzuhängen. Dostojewski, den der Schriftsteller Iwan Turgenew „unseren Sade“ nannte, war Gegenstand hartnäckiger Gerüchte über angebliche sexuelle Gewalt an Minderjährigen.

Seine Helden erinnern stark an jene Personen, die Freud „Verbrecher aus Schuldgefühl“ genannt hat. In Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit (1915/16) mutmaßte Freud, dass einige verbotene Handlungen begangen werden, „weil mit ihrer Ausführung eine seelische Erleichterung für den Täter verbunden war“. Das Verbrechen wäre somit nicht die Ursache für das Schuldgefühl, sondern würde selbiges a posteriori rechtfertigen. Für Freud liegt der Ursprung dieses Gefühls im Ödipuskomplex. Betrachten wir als Beispiel Die Brüder Karamasow: Der Roman erzählt vom Mord an Fjodor, einem lasterhaften Gutsbesitzer in der Provinz. Wer trägt die Schuld daran? Sein ältester Sohn, Dmitri, eine leidenschaftliche Seele, fühlt sich um sein Erbe betrogen und steht in sexueller Konkurrenz zum Vater. Iwan, der verzweifelte Intellektuelle, verachtet den skrupellosen Genussmenschen Fjodor. Smerdjakow hasst den Vater, der ihn nie anerkannt hat. Aljoscha, der Jüngste, scheint nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun zu können; doch mit seinem sensiblen Wesen schämt er sich für seinen Vater. Jeder Sohn kann sich vorwerfen, den Tod des Vaters herbeigewünscht – und sogar indirekt daran mitgewirkt zu haben. Für Freud enthüllt sich hier das Mysterium der Schuld. In seinem Essay „Dostojewski und die Vatertötung“ schreibt er: „Der Vatermord ist nach bekannter Auffassung das Haupt- und Urverbrechen der Menschheit wie des einzelnen. Er ist jedenfalls die Hauptquelle des Schuldgefühls (…) und darum sind bis auf die Kontrastfigur des Aljoscha alle Brüder gleich schuldig.“

 

Die Lust der Überschreitung

 

Freud erfasst dabei allerdings nicht die Originalität von Dostojewskis Denken. Denn Dostojewski gelang in seinem letzten Roman die konzeptuelle Meisterleistung, einen Ausweg aus dem Verlies des „Un-Gemachs“ aufzuzeigen. Zunächst muss man sehen, dass alle Brüder, ohne Ausnahme, schuldig sind. Dmitri war nur einen Schritt davon entfernt, zur Tat zu schreiten. Iwan, der vom Problem des Bösen besessen ist, hat sich ein komplexes totalitäres System zurechtgelegt, das von der Figur des Großinquisitors beherrscht wird, welcher als wachsamer Vormund einer verdummten Menschheit die Last der Schuld abnimmt. Er trägt zu dem Mord an seinem Vater durch stillschweigende Ermutigungen bei. Smerdjakow führt ihn aus, um in der Familie Anerkennung zu finden. Auch Aljoscha ist schuldig. Er hätte Iwans Abgleiten in den Wahnsinn verhindern können, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, bei der Erzählung über den Großinquisitor richtig hinzuhören. Doch er begnügt sich damit, darin eine Anschuldigung gegen die katholische Kirche zu sehen. Sind also alle schuldig? Ja. Doch bei Dostojewski ist nicht der Ödipuskomplex die Quelle des Übels. Es ist unsere ununterdrückbare Lust an der Überschreitung von Geboten, die wiederum ein Kind unserer Freiheit ist. In Dostojewskis Romanen ist niemand unschuldig. Die Kinder begehen wie ihre Eltern gern das Böse um des Bösen willen, „einfach so“, „aus Spaß“. Auch die seltenen positiven Figuren müssen alle die Wirren des Bösen durchleben, welches sie aktiv, durch Unterlassung oder in Gedanken vollbringen.

Diese universale Schuld ist jedoch gleichzeitig der Schlüssel zur Lösung. So hält der Mönch Sossima, die Lichtgestalt des Romans Die Brüder Karamasow, die weisen Worte seines Bruders fest: „jeder von uns ist vor allen anderen schuldig, und ich am allermeisten“. Dostojewski schlägt vor, das Prinzip der Schuld zu verallgemeinern und es zur Grundlage der intersubjektiven Beziehungen zu machen. Bekanntlich schätzte Immanuel Kant die Gültigkeit einer moralischen Maxime danach ein, ob sie geeignet sei, zu einer allgemeinen Regel erhoben zu werden: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum ALLGEMEINEN NATURGESETZE werden sollte.“ Dostojewski schlägt eine Verallgemeinerung des Schuldgefühls vor. Wenn es unser Schicksal ist, schuldig zu sein, bejahen wir unsere Schuld vor anderen und entledigen uns so der inneren Qualen. Das bedeutet keine Befreiung von Schuld. Weil alle Schuld tragen, heißt das nicht, dass am Ende keiner mehr schuldig ist. Aber das Aussprechen der Schuld ermöglicht die ethische Beziehung mit anderen. Der Fokus der Schuld wird umgekehrt: Statt dem Selbsthass zu dienen, wird sie zum Anlass, auf andere zuzugehen. Diese Idee wird der Philosoph Emmanuel Lévinas (1906–1995) aufnehmen, der von einer gegenseitigen Verantwortung spricht. Sich vor anderen als schuldig zu bezeichnen, impliziert Bescheidenheit, die Anerkennung der Gleichheit des anderen und die Möglichkeit zur Versöhnung.

 

Ethik des lebendigen Lebens

 

Doch auf welches innere Antriebsmotiv kann man diese Rehabilitierung der Schuld gründen? In dem Roman Der Jüngling wird ein von Dostojewski-Experten oft übersehener Begriff angesprochen, der jedoch grundlegend ist. Bei dem Roman handelt es sich um die Bekenntnisse eines jungen Mannes, der auf der Suche nach einer Richtung für sein Leben ist. Diese erscheint ihm in der seltsamen Vokabel des „lebendigen Lebens“, welches er so definiert: „Das lebendige Leben muss etwas unglaublich Einfaches sein, das Alltäglichste und Unverborgenste, etwas Tagtägliches und Allstündliches, etwas dermaßen Gewöhnliches, dass wir einfach nicht glauben können, dieses Einfache könnte es sein, und deshalb gehen wir schon so viele Jahrtausende an ihm vorüber, ohne es zu bemerken und zu erkennen.“ Diese Vorstellung von einem „nicht langweiligen und fröhlichen Leben“ bedeutet nichts anderes, als die Intensität des Lebens zu spüren – eine Erfahrung, die Dostojewski in den letzten Minuten vor seiner vermeintlichen Hinrichtung gemacht hat. Die Freude, am Leben zu sein, muss zur Grundlage dieser glücklichen Schuld werden. Dieses Verständnis von Schuld ist vom Christentum geprägt, von den Begriffen der Fleischwerdung, Verklärung und Wiederauferstehung. Letztlich gesteht Dostojewski jedoch, ein Kind seines Jahrhunderts zu sein, „ein Kind des Unglaubens und der Zweifelssucht“. Das Schuldeingeständnis gegenüber den „kleinen Anderen“ soll auch die Schuld vor dem großen Anderen, vor einem rachsüchtigen Gott oder dem Großinquisitor, ersetzen. Die Liebe zum Leben in all seinen Details und in jedem Moment, das ist letztlich der Schlüssel für Dostojewskis Denken. Dies hat er nicht in philosophischen Aufsätzen geschrieben, sondern in Romanen, die sich gerade mit den niedersten Aspekten unseres Lebens beschäftigen. Er verlagert den Fokus der Schuld, ohne zu versuchen, sie zu unterdrücken. Er ruft uns nicht zu larmoyanter Reue auf, die stets im Verdacht der Scheinheiligkeit steht, sondern zu einer Bejahung des Lebens, dessen Sinn es ist, in der Welt und in anderen Menschen aufzugehen. •

Übersetzt von
Grit Fröhlich
  • Email
  • Facebook
  • Linkedin
  • Twitter
  • Whatsapp

Weitere Artikel

Gespräch
13 min

Imre Kertész: "Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt"

Alexandre Lacroix 01 April 2016

Die Redaktion des Philosophie Magazin trauert um Imre Kertész. In Gedenken an den ungarischen Schriftsteller veröffentlichen wir ein Interview mit ihm aus dem Jahr 2013.
—
Nietzsche, Wittgenstein, Camus – es war die Philosophie, die Imre Kertész den Weg zur Literatur wies. Der ungarische Nobelpreisträger blickte in seinem, wie er selbst vermutete, „letzten Interview“ zurück auf ein Leben, das sich weder durch Konzentrationslager noch die kommunistische Zensur zum Schweigen verdammen ließ.

„Wissen Sie, ich habe viel über Ihre Fragen nachgedacht“, sagte Imre Kertész gleich zu Beginn, als er uns in seiner Wohnung in Buda, einem Stadtteil von Budapest, empfing. „Mir liegt daran, mit Ihnen ein schönes Interview zu führen, weil es vermutlich mein letztes sein wird.“ Dieser testamentarische Satz könnte makaber wirken, aber im Gegenteil: Seiner kurzatmigen Stimme zum Trotz leuchtet es in seinen Augen lebhaft und verschmitzt. Seit gut einem Jahrzehnt kämpft Kertész mit der Parkinsonkrankheit, Ursache zahlloser Schmerzen und Schwierigkeiten, von denen seine veröffentlichten Tagebücher berichten. Diese Krankheit zwang ihn, 2012 offiziell das Schreiben aufzugeben, und lässt ihm täglich nur wenige kurze Momente der Ruhe.

Es ist schwer, nicht gerührt zu sein bei der Begegnung mit diesem so geprüften und zugleich so zäh durchhaltenden Menschen, der unentwegt über die Paradoxa des Daseins als „Überlebender“ nachgesonnen hat. Imre Kertész wurde 1929 geboren. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, dann nach Buchenwald gebracht, wo er 1945 die Befreiung des Lagers erlebte. Den wesentlichen Teil seines Lebens hat er daraufhin unter dem kommunistischen Regime in Ungarn verbracht. Kertész begann Mitte der fünfziger Jahre zu schreiben. Zugleich toleriert vom Regime und sorgsam ferngehalten von der Öffentlichkeit, veröffentlichte er in äußerst überschaubaren Auflagen und kühl aufgenommen von der offiziellen Kritik Meisterwerke wie „Roman eines Schicksallosen“ oder „Der Spurensucher“. Erst mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden seine Werke in aller Welt übersetzt und fanden internationale Anerkennung, gekrönt vom Literaturnobelpreis im Jahr 2002.
Wenn es eine weniger bekannte Dimension seiner Existenz gibt, dann ist es das Verhältnis des Schriftstellers zur Philosophie. Aus Leidenschaft, doch auch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, übersetzte Imre Kertész zahlreiche deutsche Philosophen vom Deutschen ins Ungarische, unter ihnen Friedrich Nietzsche und Ludwig Wittgenstein. Die Lektüre dieser Autoren sowie die von Albert Camus und Jean-Paul Sartre hat unentwegt sein Werk genährt. Vor allem aus dem Wunsch heraus, sich über seine – intensive und beständige – Beziehung zur Philosophie zu äußern, stimmte Kertész unserer Interviewanfrage zu.

Imre Kertész: "Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt"

Artikel
10 min

Judith Butler und die Gender-Frage

Camille Froidevaux-Metteries 01 Dezember 2015

Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?

Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.


Artikel
2 min

Jan Costin Wagner - Der Eiskalte

Wolfram Eilenberger 01 Mai 2014

Jan Costin Wagner ist der Metaphysiker unter Deutschlands Krimiautoren. Seine Helden fahnden nicht nach Mördern, sondern nach dem Tod selbst. Wer trägt Schuld an unserer Sterblichkeit? Lässt sie sich aufklären? Philosophische Fragen, die vor allem Wagners finnischen Ermittler Kimmo Joentaa begleiten, wenn er sich im tiefsten Winter ein ums andere Mal in die Kälte des Daseins wagt.


Gespräch
7 min

Susanne Kaiser: „Der Rückfall ins Autoritäre ist männlich“

Dominik Erhard 22 November 2020

Durch den neoliberalen Wandel der letzten Jahrzehnte erlebten Männer einen Kontrollverlust, der für Frauen seit Jahrzehnten der Normalfall sei. Susanne Kaiser, die gerade das Buch Politische Männlichkeit veröffentlichte, erläutert im Interview, wie aus der daraus resultierenden Wut Politik gemacht wird und warum die Tage männlicher Herrschaft dennoch gezählt seien.

Susanne Kaiser: „Der Rückfall ins Autoritäre ist männlich“

Artikel
12 min

Mein Moment - Fünf Techniken

Ariadne von Schirach von Schirach 01 August 2016

Der gelungene Augenblick hat Zufälliges, Unverfügbares an sich. Und doch ist er auch das Ergebnis gezielten Tätigseins. Fünf Menschen erzählen von ihren Techniken, das Jetzt zu erleben.


Impulse
4 min

Nawalnys Rückkehr nach Russland: Mut oder Leichtsinn?

Michel Eltchaninoff 19 Januar 2021

Im August letzten Jahres überlebte der russische Oppositionspolitiker einen Attentatsversuch mit dem Kampfstoff Nowitschok nur knapp und ließ sich daraufhin in Deutschland behandeln. Nun kehrte er nach Russland zurück und wurde umgehend verhaftet. Warum Nawalnys Entscheidung mutig im Sinne Hegels ist, erläutert Michel Eltchaninoff.

Nawalnys Rückkehr nach Russland: Mut oder Leichtsinn?

Gespräch
12 min

Wie viel Ich tut mir gut?

Wolfram Eilenberger 15 Juni 2014

Unser Zeitalter ist bestimmt von Imperativen der Selbstsorge. Sie sollen die Grundlage für ein gelingendes Leben bilden. Aber tun sie das wirklich? Die Schriftstellerin Julia Franck ergründet mit dem Philosophen Dieter Thomä die Abgründe der modernen Ich-Sucht


Gespräch
13 min

Ich Kanakin, du Kartoffel?

Wolfram Eilenberger 15 Januar 2015

Herkunft ist, was man daraus macht. Die deutsch türkische Rapperin Reyhan Şahin, alias Lady Bitch Ray, und der Schriftsteller Per Leo über Kopftücher als Masken, autoritäre Naziopas und den künstlerischen Kampf um eine eigene Identität


Artikel aus Heft Nr. 22 Juni 2015 Online Vorschau
Hier für unseren Newsletter anmelden!

In einer Woche kann eine ganze Menge passieren. Behalten Sie den Überblick und abonnieren Sie unseren Newsletter „Denkanstöße“. Zweimal in der Woche bekommen Sie die wichtigsten Impulse direkt in Ihre Inbox.


(Datenschutzhinweise)

Jetzt anmelden!
 

Auch lesenswert

„Ein Ventil für Ängste“
„Ein Ventil für Ängste“
Von Catherine Newmark
Oktober 2018
Soldaten des Gleichmuts
Soldaten des Gleichmuts
Juli 2019
Sunzi und das strategische Denken
Von Rémi Mathieu
Februar 2018

Fils d'ariane

  1. Zur Startseite
  2. Artikel
  3. Dostojewski und die Schuld
Philosophie Magazine Nr.Nr. 56 - Januar 2021
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Feb./März 2021 Nr. 56
Online Vorschau
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Soziale Netzwerke
  • Facebook
  • Instagram
  • Twitter
Rechtliches
  • Datenschutzerklärung
  • Impressum
Mehr lesen
Visionen – eine Gefahr für die Freiheit?
Adrian Daub: „Im Silicon Valley gilt nur als Arbeit, was Plattformen schafft“
Die Gerd und Soyeon-Show
Seyla Benhabib: „Der eigentliche Machiavelli ist noch an der Macht“
Philosophie Magazin
  • Über uns
  • Unsere App
  • PhiloMag+ Hilfe
  • Abonnieren

Die Ideen hinter den Nachrichten als Newsletter

Hier anmelden!