Fünf Bücher, fünf Thesen
Bücher sind selbstverständlich mehr als ihre Hauptthese. Und dennoch kann es sinnvoll sein, diese zu kennen, um besser entscheiden zu können, ob die Lektüre lohnt. Hier fünf Thesen aktueller Werke.
These
„Die Überproduktion von Elite-Aspiranten führt zu Instabilität“
Autor:
Peter Turchin, russisch-amerikanischer Komplexitätswissenschaftler
Quelle:
End Times. Elites, Counter-Elites and the Path of Political Disintegration (Allen Lane, 2023)
Argumentation:
In den USA gibt es immer mehr Hochschulabsolventen. Doch nicht alle können Teil der Elite werden. So entstehen hoch qualifizierte Frustrierte, die gegen das Establishment vorgehen.
Beispiel:
Viele Trump-Anhänger sind gut ausgebildet. Am Sturm aufs Kapitol waren Ivy-League-Absolventen beteiligt. Auch Unterstützer von Bernie Sanders stammen aus dem frustrierten akademischen Milieu. Beide Lager treiben die gesellschaftliche Polarisierung voran.
Einwand:
Die Staatselite mag begrenzt sein, doch die Wirtschaftselite kann wachsen und Elite-Aspiranten zufriedenstellen. Tatsächlich ist die Zahl der Reichen in jüngerer Zeit sprunghaft angestiegen.
These
„Damit ökologische Kämpfe Transformationen herbeiführen können, müssen sie Affekte mobilisieren“
Autorin:
Chantal Mouffe, Philosophin
Quelle:
Eine Grüne demokratische Revolution. Linkspopulismus und die Macht der Affekte (Suhrkamp, 2023)
Argumentation:
Politische Leidenschaften dürfen nicht den Rechten überlassen werden. Die Dringlichkeit der Klimakrise und die Notwendigkeit einer grünen demokratischen Revolution machen es notwendig, die Affekte als bindende Kraft zu nutzen.
Beispiel:
Bei klimapolitischen Themen wird viel mit Zahlen operiert. Auf rein rationaler Ebene aber lässt sich ein Ende des Wachstumsmodells nicht herbeiführen. Dafür braucht es einen „kollektiven Willen“ und die affektive Konstruktion eines „Volks“.
Einwand:
Affekte, die ein Volk konstruieren, haben auch totalitäre Herrscher seit jeher genutzt. Liberale Demokratien sollten sich an den Rationalismus halten und Populismus weiter als Gefahr ansehen.
These
„Die Ehe hält die Unterdrückung der Frauen aufrecht“
Autorin:
Emilia Roig, Politologin, Aktivistin und Gründerin von Intersectional Justice e. V.
Quelle:
Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe (Ullstein, 2023)
Argumentation:
Die Ehe ist patriarchalen Ursprungs, der bis heute heterosexuelle Ehen durchherrscht und Frauen in unfreie Existenzen zwängt.
Beispiel:
Roigs eigene Ehe. Als Frau habe sie weit mehr Arbeit im Haushalt geleistet als ihr Mann, woran die Ehe unter anderem gescheitert sei. Auch sexuell kämen Frauen nicht auf ihre Kosten. Der Gedanke, dass die Frau Eigentum des Mannes ist, wirke bis heute fort.
Einwand:
Nur weil die Ehe einen patriarchalen Ursprung hat, determiniert er nicht die Existenz einer Ehefrau im 21. Jahrhundert. Dies zeigen zum Beispiel Ehen, in denen die Rollen umgekehrt verteilt sind.
These
„Der Osten wurde von Westdeutschen konstruiert“
Autor:
Dirk Oschmann, Professor für Neuere deutsche Literatur, Universität Leipzig
Quelle:
Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung (Ullstein, 2023)
Argumentation:
Die westlichen Eliten haben auch heute noch die Deutungshoheit über die neuen Bundesländer. Die diskriminierenden Zuschreibungen stellen „den Osten“ als Anderes, Niederes, Dummes dar. Das zeitigt auch Effekte in der Wirklichkeit.
Beispiel:
Ein Klischee besagt, der Osten hätte nie gelernt, wie Demokratie geht, deshalb sei die AfD dort so stark. In Wahrheit aber wurden die Menschen nach der Wende in wesentliche Gestaltungsprozesse nicht eingebunden, was sich heute an der Unterrepräsentanz in Universitäten oder Journalismus zeigt.
Einwand:
Manches ist mehr als Zuschreibung: Auch schon vor 1990 gab es in Ostdeutschland das Problem der Ausländerfeindlichkeit.
These
„Angesichts der Klimakatastrophe brauchen wir eine neue Bewusstseinskultur“
Autor:
Thomas Metzinger, Seniorprofessor für Philosophie an der Universität Mainz
Quelle:
Bewusstseinskultur. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise (Piper, 2022)
Argumentation:
Die Klimakatastrophe ist wahrscheinlich nicht mehr aufhaltbar. Um nicht zu verzweifeln, braucht es eine „Bewusstseinskultur“, die uns ermöglicht, trotz der Aussichtlosigkeit das Richtige zu tun.
Beispiel:
Bestandteil dieser Kultur könnte eine „säkulare Meditationspraxis“ sein. Sie könnte uns helfen, aus dem Wachstumsmodell auszusteigen, indem wir uns zum Beispiel der Getriebenheit durch Neid und Gier bewusst werden.
Einwand:
Meditation ist der Rückzug ins Private und hilft politisch nicht weiter. •