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Bild: Christian Grund

Dialog

Gibt es ein Recht auf Faulheit?

Thomas Strässle, Lukas Bärfuss, im Interview mit Svenja Flasspoehler veröffentlicht am 15 Juni 2014 11 min

Der moderne Leistungsträger definiert sich durch das, was er tut. Stillstand ist für ihn gleichbedeutend mit Tod. Aber welche Bedeutung hat die Passivität für unsere Existenz? Ein Dialog zwischen Thomas Strässle und Lukas Bärfuss.

 

Philosophie Magazin: Sosehr wir uns nach Faulheit sehnen mögen: Das Wort klingt zunächst einmal nicht positiv, oder?

Lukas Bärfuss: Im Wort „Faulheit“ steckt die Moralität schon drin: Früchte sind faul, die Kultur ist faul, ein Gedanke und eine Entschuldigung sind faul. Im Faulen ist die Verwesung enthalten. Gleichzeitig ist es erstaunlich, dass sämtliche Jenseitsvorstellungen der großen Religionen das Ende der Arbeit bezeichnen. Es ist ja nicht so, dass man im Paradies um acht Uhr früh zur Arbeit muss.

Thomas Strässle: Es ist aber auch nicht so, dass man im Paradies überhaupt nichts mehr tun müsste. Selbst dort existiert die Aufforderung, den Boden zu bestellen und die Tiere zu hüten – aber nicht im Schweiße seines Angesichts, sondern im Einvernehmen mit der Natur. Es gibt eigentlich nur eine Vorstellung, in der die Faulheit wirklich triumphiert: Das ist das Schlaraffenland, wo die Dinge bereits mundgerecht zur Verfügung stehen. Aber klar, die deutsche Sprache ist schon verräterisch: Faulheit und Fäulnis. Im Grunde ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Form der Faulheit der powernap, der kurze Mittagsschlaf, der uns hinterher wieder umso effizienter arbeiten lässt.

Bärfuss: Vielleicht ist das Bezeichnende der Faulheit weniger das Nichtstun, sondern die fehlende Leidenschaft. Der Faule ist nicht leidenschaftlich. Der Müßiggänger hingegen schon. Und bei dieser Leidenschaft geht es nicht um das Resultat, sondern um das Versinken im Moment.

Strässle: Der Faule versinkt nicht im Augenblick, sondern in der Ambitionslosigkeit, der Abwesenheit von allen Vorhaben, Ansprüchen, Interessen, Projekten, Entwürfen. Die Faulheit kümmert sich weder um die Gegenwart noch um die Zukunft – das unterscheidet sie vom Müßiggang. Der Müßiggang ist offen für das, was da ist und was kommen mag. Er meint eine Haltung der Empfänglichkeit, wie übrigens die Gelassenheit ebenso. Wer gelassen ist, erwartet nichts, aber er ist zugänglich. Auch der Flaneur will nicht von hier nach da, doch ist er offen für alles, was ihm unterwegs begegnet. Für den Faulen gilt diese Offenheit nicht. Das ist kein Zustand, in dem ich würde leben wollen, ob er nun dem Leistungsimperativ widersteht oder nicht.

Bärfuss: Trotzdem glaube ich, dass im Begriff „Faulheit“ eine Sehnsucht enthalten ist: Die Sehnsucht, mit seiner Umwelt vollständig zu verschmelzen. Dass wir Menschen gezwungen sind, unsere Umwelt zu schaffen, dass wir nirgends zu Hause sind, beschreibt die Paradiesvertreibung. Diese Trennung ist gleichzeitig der Anfang der Ratio, der Erkenntnis. Es gibt dieses sehr schöne Wort auf Deutsch – „Auseinandersetzung“, das die Distanzierung und gleichzeitig die Reflexion über einen bestimmten Sachverhalt beinhaltet. Faulheit ist auch die Sehnsucht, diese Trennung rückgängig zu machen. Was fault, verliert seine äußere Struktur und geht über in die Umwelt.

Strässle: Die Todesdimension der Faulheit ist nicht zu leugnen. Sie beschreiben diese Dimension ja sehr eindrücklich in Ihrem Buch Koala, das vom Selbstmord Ihres Bruders handelt. Im Zustand der Faulheit gibt es nichts, was einen von sich selber ablenken könnte, nichts, worin man sich verwirklichen würde. Die Faulheit ist ein Leerraum, in dem man auf sich selber zurückgeworfen ist. Das kann auch Angst machen. Um sie zu vermeiden, hetzt man – das kenne ich auch von mir selber – ständig irgendwelchen Dingen nach.

Bärfuss: Bestimmt ist die Angst vor dem Tod konstituierend für das menschliche Denken. Nur sind Faulheit und Fäulnis höchst lebendige Momente! Stellen Sie sich eine faulende Birne vor: Sie ist in Bewegung, sie zerfließt – aber sie verliert auch ihre Identität. Das ist, glaube ich, der Punkt: Wir sind als Menschen darauf bedacht, unsere Identität zu formen, zu konturieren und zu verteidigen. Was gehört zu mir, was nicht? Wo beginne und wo ende ich? Der Faule kümmert sich kaum darum. Er sagt Ja zu dem, was da ist. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Wahrnehmung im Zustand der Faulheit gesteigert ist. Wenn wir dem üblichen Hamsterrad entkommen, merken wir, wie wir schmecken, hören, fühlen …

Philosophie Magazin: In Ihrem Buch über die Gelassenheit schreiben Sie, Herr Strässle, dass dieser Zustand sich keineswegs von allein einstellt: „Die Gelassenheit erfordert den ganzen Menschen, jede Fiber seines Wesens.“ Gilt das auch für die Faulheit?

Strässle: Man muss lassen können, um gelassen zu werden. Die Gelassenheit überkommt einen nicht einfach, man muss schon etwas dafür tun. Das hängt auch damit zusammen, dass das Nichtstun eigentlich nicht der Normalzustand des Menschen ist, sondern dass wir so gemacht sind, dass wir immer auf etwas hinstreben. Auch das Faulsein geschieht nicht von allein. Allerdings muss man diesen „Normalzustand“ historisieren, er ist uns ja nicht einfach angeboren: Der Mensch hat sich der Logik dauernder Maximierung verschrieben, als die Subsistenzökonomie in eine Wachstumsökonomie überging. Dieser Übergang hat sich am Beginn der Neuzeit vollzogen. Seither wurde die Faulheit in einem ganz anderen Ausmaß diskreditiert als vorher.

Bärfuss: Die Sicht auf die Geschichte als Fortschritt und stetige Entwicklung gehört zum bürgerlichen Denken. Der Mensch als Bürger ist nie mit dem zufrieden, was er hat. Das Beste liegt für ihn immer in der Zukunft. Der Zins ist vielleicht der deutlichste Ausdruck dafür. Man stellt die augenblickliche Lust zurück zum Wohle eines zukünftigen Gewinns. Der Kapitalismus hat den christlichen Heilsgedanken säkularisiert und braucht die Entwicklung ohne Ende. Das System bräche zusammen, wenn es etwa alle zehn Jahre einen Generalschuldenerlass gäbe.

Philosophie Magazin: Der Marx-Schwiegersohn Paul Lafargue fordert in seinem Buch Das Recht auf Faulheit (1880) eine Reduzierung der täglichen Arbeit auf drei Stunden, um, wie es heißt, „den Rest des Tages und der Nacht zu faulenzen und zu schwelgen.“ 21 Stunden Freizeit – für Sie eine Option?

Strässle: Ich habe Lafargue nicht so gelesen, dass er meinte, wir liegen den Rest der Zeit nur auf dem Sofa und wissen nichts mit uns anzufangen. Im Gegenteil: Wir musizieren, gehen spazieren, reden miteinander, lesen, spielen, lieben, essen, träumen – kurz: Wir beschäftigen uns mit mußevollen Tätigkeiten, die unsere Persönlichkeit entfalten. Arbeiten und Nichtstun werden insofern nicht gegeneinander ausgespielt. Aber: Wir dürfen nicht vergessen, dass Lafargue mit „Arbeit“ entfremdete Arbeit meint. Fließbandarbeit. Knochenarbeit. Wenn es jedoch keine entfremdete Arbeit ist, wenn ich eine gewisse Leidenschaft für diese Arbeit aufbringe, wenn ich Energie und Persönlichkeit in diese Arbeit hineingebe, dann ist das für mich eine sinnstiftende Aktivität, auf die ich nicht verzichten will. Ich selbst habe kein Bedürfnis, mich von jeder Arbeit zu befreien. Ehrlich nicht. Dann würde ich eingehen. Ich würde sofort grummelig.

Bärfuss: Lafargues Buch heißt im Original Le droit à la paresse. Das deutsche Wort „Faulheit“ klingt negativer als „paresse“, man könnte es auch als „Müßiggang“ übersetzen. Dieser ist konstruktiv, Kreativität braucht den Zustand der Muße. Biografisch war für mich Arbeit auch immer ein Repressionsinstrument. Im Schweizerischen Seeland gibt es die Arbeitserziehungsanstalt St. Johannsen. Dort wurden junge Männer, die als faul und asozial galten, eingesperrt, um zu lernen, wie man arbeitet. Ich wuchs mit dieser Drohung auf. Tagediebe steckt man in

die Anstalt. Über dem Tor in Auschwitz stand bekanntlich: „Arbeit macht frei.“ Das wäre dann die Vernichtung durch Arbeit. Ich habe immer versucht, mich durch fremde Arbeit nicht disziplinieren zu lassen. Und ein wichtiger Punkt, warum ich meinen Beruf als Schriftsteller ergriffen habe, war die Tatsache, dass ich nie in fremden Diensten arbeiten wollte. So habe ich immer versucht, mit möglichst wenig Lohnarbeit auszukommen, um möglichst viel Zeit für mich zu haben. Damit ich lesen und schreiben konnte.

Strässle: Wobei das Schreiben ja nicht immer ein Genuss ist …

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