Direkt zum Inhalt
Menu Top
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
rechercher
 Philosophie Magazin - Impulse für ein freieres Leben
Menu du compte de l'utilisateur
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
Tag - Body
Tag - Body

Bild: Rafal Milach/Magnum Photos/Agentur Focus

Essay

Go East!

Jörg Scheller veröffentlicht am 16 Dezember 2021 11 min

Das westliche Interesse an Osteuropa erschöpft sich weitgehend in Negativfixierung und Unwissen. Höchste Zeit, jenen vielfältigen, traditionsreichen Raum zu entdecken, der sich direkt vor unserer Haustür erstreckt. Denn zwischen Warschau und Chișinău entspannt sich eine hybride Erfahrungswelt, von der man in Berlin, Paris und New York lernen könnte.

Wenn in deutschen Massenmedien von Osteuropa oder Ostmitteleuropa – im Folgenden der Einfachheit halber „Osteuropa“ – die Rede ist, liegt dieser selten ein erfreulicher Anlass zugrunde. Die Schleifung des Rechtsstaats in Polen, der klientelistische Nationalismus in Ungarn, die Korruption in Bulgarien, der Krieg in der Ukraine – diesen Themen werden Artikel und Sendungen gewidmet. Zu allem Überfluss gebricht es Osteuropa auch noch an touristisch-kulturgeografischer Mythologisierung. Ägypten, die Pyramiden. Japan, die Tempel. Neuseeland, Hobbits. Marokko, Kasbahs. Die Republik Moldau? Die Slowakei? Sogar der unmittelbare Nachbar Polen? Schaut man mit Furcht und Bewunderung auf China und die USA, verbindet man mit Tibet edelstes Mönchtum, glänzen bei der Nennung Tansanias die Augen der Safarisehnsüchtigen, so bleibt Osteuropa in der populären Imagination seltsam diffus. Das hat Tradition. Eine Tradition, die in Zeiten der Hybridisierung und der Auflösung Halt gebender Grenzen aktueller nicht sein könnte.

Die grob gesagt zwischen Deutschland und Österreich auf der einen, Russland auf der anderen Seite liegenden Länder, deren Grenzen und Herrschaftsverhältnisse sich im Laufe der Geschichte ständig verändert haben, markieren ein hybrides Dazwischen, das sich vom Westen weder als Eigenes vereinnahmen noch als Fremdes exotisieren lässt. So argumentierte der 2015 verstorbene polnische Kunsthistoriker Piotr Piotrowski, Osteuropa sei nicht das „ganz Andere“ (real other), sondern das „nahe Andere“ (close other). Polen ist das beste Beispiel dafür. Schon 1930 diagnostizierte der deutsche Kunsthistoriker Alfred Kuhn, die moderne Kunst Polens komme dem „Bedürfnis des Fremden nach Andersartigkeit kaum entgegen“. Und als der polnische Nobelpreisträger Czesław Miłosz 1959 seine Memoiren veröffentlichte, hielt er darin lakonisch fest: „In gewissem Sinne kann ich mich als einen typischen Osteuropäer betrachten. Anscheinend stimmt es, dass man dessen spezifisches Anderssein – das äußerliche wie das innere – einfach auf eine Art Formlosigkeit zurückführen kann. (…) Mein Beispiel macht genügend deutlich, welch großer Mühe es bedarf, einander widersprechende Traditionen, Namen und ein Übermaß an Eindrücken zu verarbeiten, das heißt, in eine gewisse Ordnung zu gliedern.“ Was die Philosophie betrifft, so arbeitete sich der polnische Philosoph Tomasz Mróz noch 2019 in einem Vortrag an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew an der Frage ab, ob und falls ja, seit wann, es überhaupt eine polnische Philosophie oder doch „nur“ eine Philosophie in Polen gegeben habe.

Vielleicht speist sich die Unruhe unserer multipolaren Umbruchszeit aus dem dumpfen Wissen, dass wir nun alle Osteuropäer sind, auch in Westeuropa – Zuschauer wie auch Schauspieler in einem globalen Theaterstück mit ständig wechselnden Rollen, diversen Sprachen und widersprüchlichen Regieanweisungen. „Provincializing the West“ lautete das Motto von Piotrowski. Und tatsächlich scheint im Westen nun so langsam in der Breite durchzusickern, dass man nicht mehr allein den Ton angibt wie in den Jahrhunderten des europäischen Triumphalismus, Kolonialismus, Exzeptionalismus. Eine Erfahrung, die viele Osteuropäer in den Randzonen der Macht nur zu gut kennen. Sollen die Indifferenz oder die latente Überheblichkeit gegenüber der osteuropäischen „Peripherie“ vielleicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles in Westeuropa selbst im Begriff ist, an die geopolitische Peripherie zu rutschen? Ohne in Kulturrelativismus oder Nationalismus-Verharmlosung zu verfallen, täte man in unseren Breitengraden auf alle Fälle gut daran, mit Blick auf Osteuropa von der Negativfixierung abzusehen und sich stattdessen zu fragen: Was ist es, das wir von Osteuropa lernen können, aus der Gegenwart wie auch der Vergangenheit?

Leider geschieht das Gegenteil. Nicht nur im deutschsprachigen Raum hat sich ein heimlicher Exotismus breitgemacht; ein Exotismus, in dem Piotrowskis „ganz Anderes“ als „unser ganz Anderes“ wiederkehrt: Je ferner die Probleme, je markanter die Identitätsunterschiede, desto größer das mediale Interesse und die Solidaritätsgesten. So ist es frappant, wie dominant US-amerikanische Diskurse und soziale Kämpfe in Europa sind. Man erinnere sich nur daran, dass die SPD in den 1980er-Jahren dem Freiheitskampf der polnischen Gewerkschaft Solidarność ablehnend begegnete, während sich die Partei heute mit Black Lives Matter solidarisiert. Die polnischen Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt während der „Baseballschlägerjahre“ (Christian Bangel), wer kennt sie noch? Wie fühlen sich Polen, deren Vorfahren zwei Jahrhunderte lang kolonialisiert, ausgebeutet, bekriegt wurden, wenn Akademiker heute mit neoessenzialistischer Verve von „white privilege“ sprechen? Und hat man letztlich, als in Deutschland oder der Schweiz Tausende trotz Corona in Solidarität mit Black Lives Matter demonstrierten, Veranstaltungen von ähnlicher Dimension in Solidarität mit Weißrussinnen oder der polnischen Opposition gesehen? Wer das eine gegen das andere ausspielt, ist ein Demagoge. Wer das eine nicht in Relation zum anderen setzt, ein Ideologe.

Philosophie Magazin +

 

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein


- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Einfache Registrierung per E-Mail
- Im Printabo inklusive

Hier registrieren


Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden


Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo

  • Email
  • Facebook
  • Linkedin
  • Twitter
  • Whatsapp
Anzeige
Tag - Body

Weitere Artikel

Essay
11 min

Das nahe Andere

Jörg Scheller 11 Mai 2021

Das westliche Interesse an Osteuropa erschöpft sich weitgehend in Negativfixierung und Unwissen. Höchste Zeit, jenen vielfältigen, traditionsreichen Raum zu entdecken, der sich direkt vor unserer Haustür erstreckt. Und zu fragen: Was können wir von Osteuropa lernen? Ein Essay von Jörg Scheller.

Das nahe Andere

Essay
9 min

Das Sumimasen-Prinzip

Christoph Peters 16 Dezember 2021

In der westlichen Kultur ist das Ich das Zentrum der Freiheit. Japan ist von einer anderen Geistesgeschichte getragen, mit weitreichenden Konsequenzen für das gesellschaftliche Miteinander. Durch eine Kultur der vorauseilenden Deeskalation und gegenseitiger Rücksichtnahme offenbart sich der urbane Alltag in Tokio nämlich wesentlich angenehmer und sozialverträglicher als in Berlin oder New York. Gerade in diesen Zeiten sollte uns das ein Vorbild sein.

Das Sumimasen-Prinzip

Impulse
7 min

Das Mob-Momentum

Roger Berkowitz 15 September 2020

In den letzten Wochen lieferten sich Unterstützer der "Black-Lives-Matter"-Bewegung und Anhänger Donald Trumps immer wieder Auseinandersetzungen. Roger Berkowitz, Direktor des Hannah-Arendt- Zentrums am Bard College in New York, erklärt mit Hilfe von Arendts Begriff des "zivilen Ungehorsams" was beide Lager unterscheidet und erläutert, warum dem US-Präsidenten das aktuelle Chaos bei der bevorstehenden Wahl nutzen könnte. 

Das Mob-Momentum

Gespräch
9 min

Roger Berkowitz: „Dieser Wahlkampf zeugte vom Ende einer ‚gemeinsamen Welt‘“

Martin Legros 05 November 2020

Auch wenn es so aussieht, dass Joe Biden die US-Wahlen für sich entscheiden kann, wirft Donald Trumps überraschend gutes Abschneiden viele Fragen auf. Der Philosoph Roger Berkowitz, Direktor des Hannah-Arendt-Zentrums am Bard College in New York, erklärt im Gespräch, weshalb der amtierende Präsident der schrecklichste der amerikanischen Geschichte ist, er nach wie vor so viele Menschen überzeugt und seine Amtszeit im Rückblick dennoch ein Glücksfall für die USA sein wird.  

Roger Berkowitz: „Dieser Wahlkampf zeugte vom Ende einer ‚gemeinsamen Welt‘“

Impulse
8 min

Das Ende der Stellvertretung und die direkte Zukunft der Demokratie

Andreas Urs Sommer 08 August 2022

Die repräsentative Demokratie lässt das Projekt der Aufklärung unvollendet. Statt selbst über unsere undelegierbaren Angelegenheiten zu entscheiden, setzen andere für uns Zwecke. Ein Plädoyer für den Ausbruch aus der institutionalisierten Unmündigkeit und mehr direkte Demokratie von Andreas Urs Sommer. 

Das Ende der Stellvertretung und die direkte Zukunft der Demokratie

Impulse
3 min

Kompost statt Grabstätte

Octave Larmagnac-Matheron 19 Januar 2023

Sterbliche Überreste, die zu Erde werden und im Blumentopf landen? Was ungewöhnlich klingt, ist nun auch im Bundesstaat New York legalisiert worden: „Human Composting“. Warum wir lernen müssen, den Menschen als Humus zu begreifen, weiß die Philosophin Donna Haraway.

Kompost statt Grabstätte

Artikel
8 min

Braucht mein Leben ein Ziel?

Wolfram Eilenberger 15 August 2015

Und, wie lautet Ihr Ziel im Leben? Sie haben doch eins, oder? Kaum ein Mensch, der sich dem Druck dieser Frage entziehen könnte. Sie trifft das Zentrum unserer Existenz, legt tiefste Wünsche und Hoffnungen frei – und nicht zuletzt auch Ängste. Was, wenn ich mein Ziel nicht erreiche? Was, wenn ich mein Ziel noch gar nicht kenne? Und vor allem: Was, wenn es gerade selbst gesetzte Ziele wären, die mein Leben einengen und mich unglücklich machen? In der Frage nach dem Lebensziel prallen zwei menschliche Sehnsüchte aufeinander. Die nach einem tätigen Leben in dauerhaft sinnvoller und zielgerichteter Selbstbestimmung. Und die nach einer tief entspannten Existenz in lustvoller Gelassenheit. Wie sähe wohl ein Leben aus, dessen Ziel darin bestünde, beide Ideale miteinander zu vermitteln?


Impulse
2 min

John Lockes „Dieselbigkeit“

Theresa Schouwink 22 April 2021

„Dieselbigkeit“ einer Person besteht so weit, wie ihr Bewusstsein sich erstreckt, behauptet der britische Philosoph John Locke. Was das denn bitte heißen soll? Wir helfen Ihnen in dieser Folge von Klassiker kurz erklärt weiter!

John Lockes „Dieselbigkeit“

Artikel aus Sonderausgabe 20 2021/22 Vorschau
Anzeige
Tag - Body
Hier für unseren Newsletter anmelden!

In einer Woche kann eine ganze Menge passieren. Behalten Sie den Überblick und abonnieren Sie unseren Newsletter „Denkanstöße“. Dreimal in der Woche bekommen Sie die wichtigsten Impulse direkt in Ihre Inbox.


(Datenschutzhinweise)

Jetzt anmelden!

Fils d'ariane

  1. Zur Startseite
  2. Artikel
  3. Go East!
Philosophie Magazin Nr.Nr. 69 - März 2023
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
April/Mai 2023 Nr. 69
Vorschau
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Rechtliches
  • Werbung
  • Datenschutzerklärung
  • Impressum
Soziale Netzwerke
  • Facebook
  • Instagram
  • Twitter
  • RSS
Philosophie Magazin
  • Über uns
  • Unsere App
  • PhiloMag+ Hilfe
  • Abonnieren

3 Hefte frei Haus und PhiloMag+ Digitalzugang für nur 20 €

Jetzt ausprobieren!