Kampagne mit Kostüm
Für ihre Plakatkampagne zur Bundestagswahl verkleidete die CDU eigene Mitarbeiter und erntet dafür Spott und Kritik. Unfreiwillig legt das ein Grundproblem repräsentativer Demokratie offen.
Die Klage ist alt: Statt um Inhalte und kritische Diskussion, dreht sich im politischen Tagesgeschäft alles um gelungene Auftritte, peinliche Pannen oder leere Worthülsen. Schon Platon kritisierte, dass die Demokratie zur Theatrokratie verkommt: Nicht die besten Argumente gewinnen, sondern die mitreißendste Show.
Seine Diagnose teilt Plato mit einer langen Reihe von Denker:innen, die bis zu Guy Debords Kritik am Spektakel oder Jürgen Habermas´ Unterscheidung von kommunikativem und dramaturgischen Handeln reicht: Wo das „Wie“ des Auftritts stärker wiegt als das „Was“ der Botschaft, verwässert der politische Diskurs. Trotzdem leben wir nun mal in einer Mediendemokratie, in der Selbstdarstellung ein integraler Bestandteil ist: Politiker:innen stellen sich dar in Reden, auf Social Media oder eben in ihrer Wahlwerbung. Dass sie dabei nicht nur sich selbst, sondern gleich noch das Volk mit darstellen, ist allerdings neu. So wie die CDU, die auf ihren jüngst vorgestellten Plakaten zur Bundestagswahl Mitarbeiter:innen der Partei als Bürger:innen verkleidete. Die Vizechefin der Online-Kampagne „CDU Connect“ ist etwa als Polizistin zu sehen, die Parteisprecherin als Pflegerin, deren Mann und Sohn wiederum werben für „bezahlbares Wohnen“. Was ist es, das uns daran wahlweise so irritiert, belustigt oder verärgert?
Schlechtes Handwerk?
Es überrascht sicher niemanden, dass in der Werbung nicht Wahrhaftigkeit an erster Stelle steht. Das heißt zwar nicht, dass Werbung per se lügt, zumal irreführende Werbung grundsätzlich auch verboten ist. Werbung zielt schlicht darauf, ihre Inhalte in ein gutes Licht zu rücken. Das ist manipulativ, aber nicht irrational. Wie der Philosoph Alexander Fischer darlegt, setzt Manipulation Begründungen nicht aus, sondern voraus: Sie rechnet damit, dass wir über Gründe nachdenken, aber auch dass uns manche Gründe attraktiver erscheinen als andere.
Werbung arbeitet zu diesem Zweck mit Bildern, und Bilder werden hergestellt, mitunter auch bearbeitet. Der notorische Rasierschaum, der in Bieranzeigen verwendet wird, um den Schaum noch schaumiger zu inszenieren, ist ein gutes Beispiel. Die im AfD-Wahlspot „Deutschland. Aber normal“ verwendeten Bilder, die ein „normales Deutschland“ heraufbeschwören, aber gar nicht aus Deutschland stammen, zeugen von unfreiwilliger Komik, aber auch vom glatten Terrain bearbeiteter Bilder.
Insofern wäre es – bis auf den halb juristischen, halb aufmerksamkeitsheischenden Zwischenruf der Polizeigewerkschaft – keine weitere Aufregung wert, dass auf Plakaten keine wirklichen Polizist:innen, Altenpfleger:innen oder echte Familien zu sehen sind, sondern Darsteller:innen, die im Rahmen des Bildes als Zeichen für diese Gruppen stehen. Was ist also an diesem Fall besonders?
Ein Gedankenexperiment: Blackfacing
Nehmen wir nun einmal an, die CDU hätte ihre Maskerade noch weitergetrieben. Sie hätte sich dabei auf Werte besonnen, die besonders einer jüngeren Generation ein Anliegen sind. Unter anderem wäre dann vielleicht ein Plakat mit der Headline „Diverser“ entstanden. Darauf zu sehen wiederum die gleichen Mitarbeiter:innen, diesmal aber mit schwarz angemalten Gesichtern. Der Skandal wäre zurecht groß. Und er läge nicht allein auf der symbolischen Ebene, sondern vielmehr darin, dass sie in der Praxis realer Verletzungen eine Entsprechung hat. Trotzdem wird in diesem Gedankenexperiment ein Teil des Problems deutlich: Das CDU-Theater ist anmaßend.
Wer sich politisch auf gesellschaftliche Gruppen bezieht, indem er sie nachstellt, statt selbst zeigt; für sie spricht, statt sie zu Wort kommen zu lassen, missachtet das Recht auf Selbstbestimmung und die Identität dieser Gruppen. Er nutzt sie als Mittel für seinen Zweck. Was soll eine schlecht bezahlte Altenpfleger:in davon halten, wenn eine gut betuchte CDU-Pressesprecherin sie mimt? Bedeutet bezahlbares Wohnen für den Ehemann und Sohn der CDU-Pressesprecherin wirklich dasselbe wie für eine Familie, die verzweifelt eine Wohnung sucht? Ist es nicht ein Affront, dass Parteimitarbeitende in Anspruch nehmen, ihre Stellvertreter:innen zu sein?
Verkehrte Demokratie
Aber müssen sie nicht genau das, nämlich ihre Stellvertreter:innen sein? Ja, müssen sie, aber im politischen, nicht im ästhetischen Sinne. Oder haben wir etwa falsch verstanden, dass Abgeordnete in einer repräsentativen Demokratie die Werte und Anliegen ihrer Wähler:innen repräsentieren sollen, aber nicht die Wähler:innen selbst? Genau darin liegen der eigentliche Skandal und zugleich der Treppenwitz dieser Kampagne: Sie entlarvt, dass es in der repräsentativen Demokratie zu einer Verkehrung gekommen ist. Die einzelnen Politiker:innen repräsentieren nicht länger die Wirklichkeit der Wähler:innen. Es ist umgekehrt: Die Realität der Wähler:innen ist nur noch Staffage für die politische Selbstinszenierung. Die Verkleidung der CDU-Mitarbeiter:innen als Bürger:innen vollendet die Selbstbezüglichkeit einer verabsolutierten politischen Klasse. In voller Transparenz zeigt sie symbolisch, was wir längst ahnen: Es geht um die Durchsetzung je schon gebildeter Meinungen statt um gemeinsame Meinungsbildung.
Es wäre fatal, wenn es keinen Ausweg gäbe. Aber die CDU-Kampagne bietet ihn selbst. In der fast schon Brechtschen Ausstellung der eigenen Inszenierung weist sie uns darauf hin, dass Politik von subjektiven Weltsichten und Bildern bestimmt ist. Wollen wir dieses „Deutschland“, das die CDU uns zeigt, „gemeinsam machen“, wie es der Claim in schlechtem Deutsch vorschlägt? Oder doch lieber ein anderes? Die Wirklichkeit ist eben nicht alternativlos, sondern ein Streit über fundamental verschiedene Weisen, unsere Welt zu sehen. •