Muskismus – ein Universum für Superreiche
Die reichsten Männer der Welt treiben ihre Geschäftsmodelle auf die nächste Stufe. Sei es durch die geplante Besiedlung des Mars oder die Erschaffung einer virtuellen Realität. In dieser Art des extraterrestrischen Extremkapitalismus scheinen Börsenkurse weniger von Profiten als von Science-Fiction-Fantasien getrieben zu sein. Dumm nur, dass Elon Musk, Mark Zuckerberg & Co. die von ihnen bewunderten Science-Fiction-Autoren offensichtlich radikal missverstanden haben.
In der letzten Oktoberwoche 2021 feierte Bill Gates (Vermögen: 138 Mrd. USD) seinen 66. Geburtstag in einer Bucht an der türkischen Küste. Gäste wurden von seiner gecharterten Jacht aus per Helikopter zum Strandclub gebracht. Unter ihnen befand sich laut Lokalpresse auch Jeff Bezos (Vermögen: 197 Mrd. USD), der nach der Party zu seiner eigenen Jacht zurückflog, jedoch wohlgemerkt nicht zu der „Superjacht“, die er für mehr als 500 Mio. Dollar bauen lässt. Der reichste Mann der Welt, Elon Musk (Vermögen: 317 Mrd. USD), hielt sich höchstwahrscheinlich gerade in Texas auf, wo sein Unternehmen SpaceX einen Raketenstart vorbereitete. Mark Zuckerberg (Vermögen: 119 Mrd. USD) war ebenfalls nicht dabei, doch einen Tag nach Gates’ Geburtstagsfeier verkündete er seine Pläne für das Metaversum, eine virtuelle Realität, in der man mit Headset und Montur von der realen Welt abgeschottet den ganzen Tag lang als Avatar verbringen und so beispielsweise zu Partys auf abgelegenen ägäischen Inseln tingeln oder eine Jacht oder Rakete besteigen kann, als gehöre man zu den Superreichen.
Das Metaversum illustriert und verschleiert zugleich eine allgemeinere und beunruhigendere Wendung in der Geschichte des Kapitalismus: Die Tech-Milliardäre der Welt schmieden an einer neuen Art Kapitalismus, dem Muskismus. Musk, der gerne gegen seine Rivalen austeilt, machte sich gleich über Zuckerbergs Metaversum lustig. Doch von Mond- und Marsmissionen bis hin zum Metaversum fällt all das unter den Muskismus: einen extraterrestrischen Extremkapitalismus, in dem Börsenkurse weniger von Profiten als von Science-Fiction-Fantasien getrieben sind. Der Begriff Metaversum stammt aus einem Science-Fiction-Roman von Neal Stephenson aus dem Jahr 1992, doch die Idee reicht viel weiter zurück. Es handelt sich um eine Variante des Holodecks aus dem Star Trek-Franchise, in das Bezos als Kind ganz vernarrt war; im Oktober schoss er William Shatner, Darsteller von Captain Kirk in der ersten Star Trek-Serie, in den Weltraum. Milliardäre, die als Kinder Geschichten über den Aufbau neuer Welten verschlangen, sind als Männer reich genug, um selbst welche zu erschaffen. Und wir anderen sind darin gefangen.
Muskismus, diese extravagante Form des Kapitalismus, ist merkwürdigerweise gerade von antikapitalistischen Geschichten inspiriert. In Bezos’ Amazon Studios sollte die Weltraumoper Die Kultur des schottischen Schriftstellers Iain Banks zu einer TV-Serie adaptiert werden („eines meiner absoluten Lieblingsbücher“); Zuckerberg setzte einen der Bände auf die Liste von Büchern, die seiner Ansicht nach alle gelesen haben sollten; und von Musk stammt der Tweet: „Falls es Sie interessiert, ich bin ein utopischer Anarchist, wie ihn Iain Banks am besten beschrieben hat.“ Doch Banks war erklärter Sozialist. In einem Interview von 2010, drei Jahre vor seinem Tod, beschrieb er die Protagonisten des Kultur- Zyklus als „Hippie-Kommis mit Hyperwaffen und tiefem Misstrauen gegenüber Marktverherrlichung und Raffgier“. Er zeigte sich auch erstaunt, dass irgendjemand seine Bücher als Werbung für libertäre Marktwirtschaftsideen lesen könne: „Welchen Teil von ‚kein Privateigentum‘ und ‚kein Geld‘ in den ‚Kultur‘-Romanen haben diese Leute nicht verstanden?“
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Einfache Registrierung per E-Mail
- Im Printabo inklusive
Hier registrieren
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Dune: grüne Science-Fiction ohne Technik?
Im Jahr 1965 startete Frank Herbert seine Romanreihe Dune, die zu einem der erfolgreichsten Science-Fiction-Klassiker aller Zeiten avancierte. Derzeit läuft eine neue Filmadaption des Stoffs im Kino. Wird sie der brillanten Vorlage gerecht?

Behaglich in den Abgrund blicken
In seinem Gruppenportrait erzählt Stuart Jeffries von der Exil-Lebenswelt der Frankfurter Schule
Stuart Jeffries
Grand Hotel Abgrund: Die Frankfurter Schule und ihre Zeit
übers. v. S. Held, Klett-Cotta, 560 S., 28 €
Metaverse: Die Welt ist nicht genug
Mark Zuckerberg will mit seinem Metaverse-Projekt eine buchstäblich neue Welt erschaffen. Diesen Frontier-Gedanken teilt er mit Elon Musk und Jeff Bezos. Für den Planeten hat das potentiell fatale Folgen.

Elon Musk und der altruistische Liberalismus
Jüngst wurde Elon Musk vom Time-Magazine zur „Person des Jahres“ gekürt. Das stieß im Netz auf reichlich Empörung. Zurecht, meint unsere Autorin, denn Musks altruistischem Liberalismus wohne ein fundamental anti-politischer Gestus inne.

Christian Neuhäuser: „Wenn wir extremen Reichtum verbieten, steigern wir das Innovationspotenzial“
Einem Oxfam-Bericht zufolge ist das Vermögen der zehn reichsten Menschen der Welt seit Beginn der Pandemie um eine halbe Billion Dollar gewachsen. Das ist mehr als genug, um Impfstoffe für die Weltbevölkerung bereitzustellen. Im Interview argumentiert der Philosoph Christian Neuhäuser, warum Reichtum dieses Ausmaßes abgeschafft werden sollte.

Objekthirten
Nach Elektroautos und Mars-Raketen plant Elon Musk nun die Entwicklung eines humanoiden Roboters.

Das chinesische Silicon Valley
In der Greater Bay Area zwischen Shenzhen und Hongkong entsteht gerade die großstädtische Zukunft: ein Science-Fiction-artiges Hightech-Zentrum, das die globale Vormachtstellung des kalifornischen Silicon Valley absehbar ablösen wird. Doch zu welchem Preis?

Judith Butler und die Gender-Frage
Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?
Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.