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Bild: Pierre Markuse via Flickr (CC BY 2.0)

Impuls

Schiffbruch mit Zuschauer

Nils Markwardt veröffentlicht am 27 März 2021 4 min

Die buchstäblich festgefahrene Situation am Suezkanal erzeugt einen eigentümlichen Zauber. Liegt es an der Erhabenheit des auf Grund gelaufenen Stahlkolosses? Oder doch eher an einem sisyphosartigen Nebendarsteller?

 

So wie es da quer zwischen den Ufern des Suezkanals liegt und mit seinen fast 400 Metern Länge und 220 000 Tonnen Gewicht das Nadelöhr der Weltwirtschaft verstopft, entfaltet das Containerschiff Ever Given zumindest aus der Entfernung einen eigentümlichen Zauber. Das mag im ersten Moment zynisch klingen, zerreißen durch den mittlerweile über 200 Schiffe großen Stau auf der ägyptischen Wasserstraße doch weltweite Lieferketten. Gleichwohl scheint sich für den landläufigen Betrachter hier auf den ersten Blick ein Gefühl der Erhabenheit einzustellen, was womöglich auch die enorme Kommentierung des Vorfalls in sozialen Medien erklären könnte. Denn das Bild des Schiffbruchs gehört seit jeher zum ästhetischen Inventar der Theorie der Erhabenheit.

Bereits der römische Dichter Lukrez hatte in seiner Schrift Über die Natur der Dinge bemerkt: „Wonnevoll ist's bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer / Aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht, / Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet, / Sondern aus Wonnegefühl, daß man selber vom Leiden befreit ist.“ Es war sodann Johann Gottfried Herder, der das Bild des „in der Natur, und sogar im Gemälde […] kämpfenden Schiffes oder des Schiffbruchs“ als dezidiertes Beispiel für das Erhabene, also „furchtbarschöne“ anführte.

Für Idealisten wie Herder, Kant und Schiller firmierte das Erhabene – obschon mit unterschiedlichen Akzentuierungen – als ein schaurig-wohliges Gefühl, das uns beim aus sicherer Distanz erfolgten Anblick von etwas gleichermaßen Schicksalhaften und Überwältigendem ereilt. Aber gerade indem uns jene Übermacht der physischen Welt vorgeführt wird, der wir einstweilen hilflos ausgeliefert sind, sei es das tobende Meer oder ein speiender Vulkan, werden wir uns ex negativo als vernunftbegabte Wesen selbst bewusst. Oder wie Schiller es formulierte: „Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt.“

 

Im Strom der Geschichte

 

Und ist dieser Anblick der feststeckenden Ever Given nicht tatsächlich „furchtbarschön“, weil er verdeutlicht, dass wir manche schicksalhaften Dinge nicht kontrollieren können (und es sich hierbei nicht gleich um eine Pandemie handelt), man sich aber gerade deshalb darauf besinnt, dass man diesem Schicksal den freien Geist entgegensetzen muss? Bei genauerer Betrachtung scheint die Lage indes etwas komplizierter. Denn der Philosoph Hans Blumenberg hatte bereits in seinem 1979 publizierten Buch Schiffbruch mit Zuschauer die Schiffsbruch-Metaphorik innerhalb der Geistesgeschichte nachgezeichnet und kam dabei zu dem Schluss: Uns Betrachtern ist das sichere Ufer abhandengekommen.

Als moderne, weltverändernde Menschen, die aus einstmals schicksalhaften Gefahren zunehmend kalkulierbare Risiken gemacht haben, sind wir nunmehr schon immer Mitfahrende, permanenter Teil des reißenden Stroms der Geschichte. Und das zeigt der Fall der Ever Given ja auf ganz plastische Weise. Als Reaktion auf die maritime Unfallstelle spielten in der globalisierten Wirtschaft direkt die Ölpreise verrückt, zudem werden, je nachdem wie lange die unerwartete Sperrung des Kanals noch andauert, erhebliche ökonomische Schäden erwartet, die dann unter Umständen auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückfallen könnten.     

 

Sisyphosartiges Sinnbild

 

Vor diesem Hintergrund liegt der eigentümliche Zauber dieses Schiffsbruchs mit Zuschauern womöglich zum einen eher darin, dass er allen medialen Passagieren eine wohlige Form der gesellschaftlichen Komplexitätsreduktion liefert, indem er eine klare und einfache Kausalitätsbeziehung vorführt, die man als finanzkrisen- und pandemieerprobter Mensch kaum noch gewöhnt ist. Oder wie es die Journalistin Brendy Jensen bei Twitter auf den Punkt brachte: „Nach Jahren von Bitcoin und Reddit Short Sellings und Credit Default Swaps und einer Million anderer Sachen, die ich nicht verstehe, ist es erfrischend zu hören, dass der Welthandel in Gefahr ist, weil ein großes Boot in einem Kanal feststeckt.“

Zum Zweiten entfaltet sich der Zauber dieses Vorfalls aber vielleicht auch nicht nur ob des komplexitätsreduzierenden Anblicks des feststeckenden Stahlkolosses, sondern ebenso aufgrund eines Nebendarstellers, nämlich den in sozialen Medien vielfach kommentierten Bagger, der zunächst einsam versuchte das Containerschiff freizuschaufeln. Denn dieser Bagger, der neben der Ever Given wie eine winzige Ameise wirkt, offenbart sich als sisyphosartiges Sinnbild einer von Pandemie und Klimawandel gebeutelten Gegenwart. Er verkörpert nichts Erhabenes, sondern jenen fatalistisch-optimistischen Geist, der zwar um die Ausweglosigkeit weiß, aber dennoch resthoffnungsvoll an der Verbesserung der Verhältnisse arbeitet. Er ist also gewissermaßen die zur Maschine gewordene Losung des Philosophen Herbert Marcuse, die der Denker der Kritischen Theorie Zeit seines Lebens – und darüber hinaus – hochhielt: „Weitermachen!“ •  

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