Smarte Technologie, dumme Leser?
Das textgenerierende KI-System ChatGPT scheint Roland Barthes’ These vom „Tod des Autors“ zu bestätigen. Wo aber bleibt die Geburt souveräner Leser? Führt ChatGPT nicht zu getäuschten Lesern? Die Antwort, sagt Philipp Schönthaler, liegt auf der Textebene selbst.
Die Berichte über die Sprachverarbeitungssoftware ChatGPT des kalifornischen Konzerns Open AI reißen seit ihrer Veröffentlichung im November 2022 nicht ab. Das anhaltende Echo auf den Chatbot, der auf eine einfache Anweisung hin Texte aller Art produziert, verblüfft auch deshalb, weil noch gar nicht klar ist, für was er eigentlich gut sein soll. Vermutlich ist das dem Erfolg aber zuträglich. So kann die smarte Sprachverarbeitung in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Hoffnungen und Ängste schüren. Lehrende, die KI-generierte Hausarbeiten erhalten, stehen vor anderen Problemen als Amazon Publishing, das seit der Verfügbarkeit von ChatGPT einen starken Anstieg von schlechten Büchern auf seiner Selfpublishing-Plattform verzeichnet. Was beide Phänomene eint, ist der Eindruck, dass die Zukunft der Textproduktion den Maschinen gehört.
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Wir leben in einer Zeit, in der sich alle Normen aufzulösen scheinen. Doch gerade in Fragen der Schönheit wird der Normierungsdruck immer stärker. Von den Griechen noch mit dem Wahren und Guten gleichgesetzt, unterliegt sie in der modernen Gesellschaft dem Verdacht der Oberflächlichkeit und Gedankenferne. Gerade weil Schönheit uns unmittelbar anzieht, bleibt sie verdächtig. Gerade weil sie von jedem ersehnt wird, kriegt sie keiner recht zu fassen. Nur eines scheint sicher: Ein Leben ohne Schönheit wäre schlicht unerträglich. Sie ist der wahre Preis unserer Existenz: Aber welcher Weg führt am verlässlichsten zu ihr? Muss Schönheit leiden? Lässt uns nur die Liebe schön sein? Oder liegt wahre Schönheit in der Selbstvergessenheit?