Sophie Wennerscheid: „Auch eine Maschine kann mich berühren“
Wir denken Nähe oft nur in menschlichen Beziehungen. Dabei kann sie auch zwischen Mensch und Maschine entstehen. Was macht diese „fremdartige“ Nähe mit uns? Ein Gespräch mit Sophie Wennerscheid über neue Formen von Berührung und Begehren.
Frau Wennerscheid, Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Bandbreite von Techniken, von herkömmlichen Sexspielzeugen bis hin zu humanoiden Robotern, die neue Formen von Nähe erzeugen. Was ist dabei überhaupt möglich?
Die Nähe, die wir erfahren, variiert natürlich stark von Technik zu Technik. Wenn ich ein Sextoy benutze, gibt es die direkte haptische Begegnung zwischen mir und dem Toy. Wenn ich über das Internet an einem Sex-Chat teilnehme, dann ist es eine vermittelte sexuelle Beziehung, die als solche erst einmal eine distanzierte oder anderskörperliche Beziehung ist. Diese Vielfalt von Begegnungen – von der direkten zwischenmenschlichen über die medial vermittelte bis zur direkten Begegnung zwischen Körper und Maschine – interessiert mich. Völlig falsch finde ich die Annahme, dass unsere Sexualität durch Technik per se entmenschlicht oder weniger intensiv wird. Begehren verändert sich. Hier gilt es, Technik auch als Kulturtechnik zu denken: Begehren ist nicht einfach da, sondern wird im Sinne einer Technik eingeübt und verändert. Das sollten wir uns neugierig und kritisch anschauen.
Oft wird die Hinwendung zur Technik als Reaktion auf einen Mangel bewertet: Wenn ich es nicht schaffe, einen richtigen Partner zu finden, dann lege ich mir eine Sexpuppe zu oder gehe ins Internet. Woher kommt das Bedürfnis nach technisch vermittelter Nähe? Was macht, positiv gesprochen, den Reiz aus?
Therapeuten berichten tatsächlich davon, dass immer mehr Menschen, aus Furcht, nicht anerkannt zu werden oder zu genügen, eine nichtmenschliche Beziehung suchen. Erhofft wird dabei, dem Moment der Irritation und Infragestellung zu entgehen. Ich würde dem entgegenhalten, dass auch die Interaktion mit einer Puppe oder einem Roboter Momente von Verunsicherung und Fremdheit hervorbringt. Ich verfüge nicht einfach über das Ding. Es macht etwas mit mir, kann mich also sehr wohl über meine stabilen Grenzen hinweg infrage stellen. Positiv gesprochen heißt das aber auch, dass ich in der Interaktion überraschende Momente erleben kann, die einen Lustgewinn bringen.
Sie sagen also, dass Mensch- Maschinen- Beziehungen den Reiz der Unverfügbarkeit bergen, den wir ihr eigentlich absprechen. Wie begegnet uns das Unverfügbare in der Technik?
Nehmen wir das Sextoy: Das stellt erst mal keine Anforderungen an mich. Ich kann mit ihm machen, was ich will. Aber wie ich dieses Ding handhaben soll oder wie sich das dann anfühlt, das liegt nicht ausschließlich in meiner Hand. Das Ding macht auch etwas mit mir. Es kann in mir Fantasien und Erregungen auslösen, auf die ich nicht vorbereitet war. Vielleicht gefällt es mir so gut, wie ich es mir gar nicht hätte vorstellen können. Vielleicht finde ich es auch abtörnend oder unheimlich. Und auf einmal geht die Batterie aus. Technik funktioniert nicht immer auf Knopfdruck.
Sie sprechen in Ihrem Buch von „neuen Schnittstellen des Begehrens“. Was bedeutet das?
Wir denken bei Beziehungen fast immer an „Paarbeziehungen“. Eine andere Sicht, die in der Netzwerktheorie starkgemacht wird, ist, dass wir in Beziehung zu vielen Akteuren stehen. Unser ganzes Sein ist eingebunden in Interaktionen zwischen Mensch, Natur, Technik. Das ist ein Geflecht, das erotisch aufgeladen sein kann und uns den eingeschränkten Horizont der Paarbeziehung überschreiten lässt. Insofern spreche ich auch von einem „Netzwerk des Begehrens“. Dieses Bild schließt an die Philosophie des Affekts von Félix Guattari und Gilles Deleuze an. Da ist Begehren nicht einfach als Personalbeziehung gedacht, sondern als komplexes Netzwerk, in dem es zum Austausch von Affekten kommt. Guattari und Deleuze entwickeln dabei ein anderes Konzept von Begehren als das der Psychoanalyse. Dort gilt Begehren als etwas, das aus dem Mangel erwächst. Die Mutter als Liebesobjekt ist verloren gegangen, deshalb entsteht das Verlangen nach einem neuen Liebesobjekt. Gegen dieses Denken setzen Guattari und Deleuze ihr Anti-Ödipus-Konzept, in dem die feste Familien- und Beziehungsstruktur aufgelöst und vervielfältigt wird.
Sie beschreiben auch ein Kunstwerk, bestehend aus Roboterhänden, die das menschliche Gegenüber betasten. Stellt das eine Begehrensmaschine dar?
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