Stuart Jeffries: „Eine Rebellion der Söhne“
Die Geschichte der frühen Frankfurter Schule lässt sich auch als Auflehnung von Söhnen gegen die materialistische Sicherheit ihrer Väter erzählen, ja, sogar als ödipalen Kampf
Herr Jeffries, Sie haben kürzlich eine Gruppenbiografie über die erste Generation der Frankfurter Schule mit dem Titel „Grand Hotel Abgrund“ veröffentlicht – warum dieser Name?
Die Kritische Theorie entstand ja aus dem Gedanken, dass die marxistische Revolution in Deutschland gescheitert war – und der Frage, warum das geschehen konnte. Georg Lukács hat im Jahr 1963 einen Text darüber geschrieben: In seinen Augen hatte die Frankfurter Schule die marxistische Revolution aufgegeben. Stattdessen begnügten sie sich damit, darüber nachzudenken, was schiefgelaufen ist. Lukács, der selbst Bolschewist war, hielt sie daher für dekadente Menschen, Charaktere aus Thomas Manns „Zauberberg“ etwa. Sie hausieren im Grand Hotel Abgrund, einem vornehmen Hotel, aber eben mit Blick in den Abgrund. Dieser steht fürs Verderben, für das Elend der in einem marxistischen Sinne ausgebeuteten Menschheit. Und sie genießen es, es gibt ihnen geradezu Genugtuung, aus einer sicheren Position dorthin hinabzuschauen. Ich denke das berührt den kantischen Begriff des Erhabenen, die Idee, aus der sicheren Entfernung auf etwas zu blicken, das einen ängstigt, aber auf eine angenehme Weise. Wie bei einem Naturereignis, einer stürmischen See, die einen auf wohlige Art und Weise erschaudern lässt. Sobald man sich aber auf einem Schiff, das zu sinken droht, auf dieser See befindet, sieht die Sache etwas anders aus. Lukács wirft den Frankfurtern genau das vor: Sie schauen herab auf das Leiden von Menschen, ohne ihre Situation wirklich zu verstehen.
Warum denken Sie, dass es wichtig ist, die Geschichte der Frankfurter Denker von ihren Kindheitsjahren an zu erzählen?
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