Vom klebrigen Ding an sich
Der Schriftsteller Clemens J. Setz umkreist das Obszöne. Seine antiphilosophische Literatur setzt eine Sinnzersetzung in Gang, der weder mit Hegel noch mit Habermas beizukommen ist.
Das Reale ist das, was sich der Philosophie in den Weg stellt. Es ist krude und unübersetzbar, ein Krächzen, ein Kratzer, eine nicht zu klärende Unschärfe. Und könnte es sein, dass Clemens J. Setz, der 1982 in Graz geborene Büchner-Preisträger, nicht nur als Romanautor ein Meister solcher Sinnzersetzung ist?
Es ist ein paar Jahre her, da saßen wir in größerer Runde im Klagenfurter Landhaushof zusammen. Setz gegenüber: sein österreichischer Schriftstellerkollege Josef Winkler. Der unterhielt (und entnervte) die Gesellschaft mit einer endlosen Tirade ganz und gar unverständlicher, kehlig kratzender Laute. Als sperrte ihm jemand mit Gewalt den Mund auf. Clemens J. Setz aber schlug er damit ganz in seinen Bann. Zuerst noch unsicher umherschauend, starrte er Winkler bald ins Gesicht, als könne er dessen Sprachwerkzeuge so begreifen lernen. Und fing dann plötzlich selbst an, Laute von sich zu geben. Setz zischte und zischelte in Winklers donnernde Kehllaute hinein, als wäre er auf der Suche nach einem Rhythmus, der die Störlaute der beiden verbinden könne. Oder nach einer Ästhetik, in deren Regelsystem dies hier zu übersetzen und so irgendwie zu retten wäre. Das ging, bis es nicht mehr ging und alle gingen. Dies war eine Performance der Sinn- und Geselligkeitszerstörung. Und ein Attentat auf die einvernehmlich anerkannte Sinnhaftigkeit einer Sprache, die, mit Habermas gesagt, die Voraussetzung des kommunikativen Handelns ist.
Unbestimmbare Wahrheit
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