Warum fällt es uns so schwer, mit dem Rauchen aufzuhören?
Morgen hör ich auf! Wirklich! Wie oft haben Sie als starker Raucher dieses Versprechen schon gegeben? Vielleicht ist es an der Zeit für ein philosophisches Nikotinpflaster.
Augustinus
(4.–5. Jh.)
„Weil wir uns selbst ein Rätsel sind“
Die Frage nach Sein oder Nichtsein ließe sich noch vergleichsweise leicht beantworten. Aber der Mensch ist ein Wesen voller Widersprüche, eine einzige Antithese, und zwar vor allem in Bezug auf unser Begehren. „Ich fasse selbst nicht ganz, was ich bin“, erklärt Augustinus. Der Mensch will etwas und will es nicht, er wünscht sich etwas, aber erlaubt es sich nicht. „Fast tat ich’s und tat’s doch nicht. (…) Und dann versuchte ich es zum zweiten Male (…), und doch war ich nicht am Ziele (…) und zauderte zwischen Tod und Leben“. Wir sind zweigeteilt und schmerzlich hin- und hergerissen zwischen unseren guten Vorsätzen und der Unfähigkeit, sie in die Tat umzusetzen.
Blaise Pascal
(17. Jh.)
„Weil Rauchen uns glücklich macht“
Wir sind Sklaven unserer Begierden und tun immer das, was uns am meisten Vergnügen bereitet. Das gilt, laut Pascal, zumindest für den Libertin. Als Mensch ohne Gott ist er ein Getriebener auf der ständigen Jagd nach Genuss. Frei ist er nur dem Namen nach. Wenn wir mit dem Rauchen aufhören, dann nicht aus Vernunft, sondern weil wir darin eine andere Form des Lustgewinns sehen. Frönen wir dem Laster hingegen weiter, dann darum, weil es uns glücklich macht, denn „alle Menschen suchen nach dem Glück. (…) Das ist bei allen Menschen der Beweggrund aller Handlungen, selbst bei jenen, die sich erhängen wollen.“
Jean-Paul Sartre
(20. Jh.)
„Weil es eine Zeremonie ist“
Rauchen ist keine triviale Tätigkeit, glaubt Sartre, sondern ein zeremonielles Opfer. Während sich meine Zigarette in Rauch und Asche auflöst, eigne ich mir die Welt an. Dieses „kleine Brandopfer“ verleiht den Dingen, die ich wahrnehme, eine besondere Intensität und gibt meinem Leben erst einen Sinn (Das Sein und das Nichts). Auf Tabak zu verzichten, ist eine Form „universeller Verarmung“, die die Existenz jeglicher Würze beraubt. Will man sich einreden, dass das Leben auch ohne Zigaretten lebenswert ist, muss man eine „Dekristallisation“ vornehmen. Das heißt, sich einbilden, dass das Rauchen nichts weiter ist als „verglühendes Kraut“, und auf andere Mittel der Weltaneignung ausweichen. Wie wäre es mit Alkohol? Oder Philosophie?
Jon Elster
(20.–21. Jh.)
„Aus Mangel an Beherrschung“
Unser Talent, gute Vorsätze zu fassen, ist ebenso groß wie das, sie dann nicht umzusetzen. Wenn wir nicht tun, was eigentlich gut für uns wäre, ist das nach Ansicht von Jon Elster ein Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung. Der norwegische Philosoph führt diese Willensschwäche darauf zurück, dass der unmittelbare Genuss und das unmittelbare Vergnügen immer mehr zählen als ein möglicher zukünftiger Nutzen. „Rauchen ist tödlich“ – keine Frage –, aber nicht sofort. Willenskraft hilft uns nicht aus dieser Sackgasse, besser sind äußere Zwänge. Man nehme sich ein Beispiel an Charles de Gaulle: Er hatte vor seinem Generalstab verkündet, mit dem Rauchen aufzuhören, um notfalls von diesem zur Ordnung gerufen zu werden. •
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Wer ist mein wahres Selbst?
Kennen Sie auch solche Abende? Erschöpft sinken Sie, vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, aufs Sofa. Sie kommen gerade von einem Empfang, viele Kollegen waren da, Geschäftspartner, Sie haben stundenlang geredet und kamen sich dabei vor wie ein Schauspieler, der nicht in seine Rolle findet. All diese Blicke. All diese Erwartungen. All diese Menschen, die etwas in Ihnen sehen, das Sie gar nicht sind, und Sie nötigen, sich zu verstellen … Wann, so fragen Sie sich, war ich heute eigentlich ich? Ich – dieses kleine Wort klingt in Ihren Ohren auf einmal so seltsam, dass Sie sich unwillkürlich in den Arm kneifen. Ich – wer ist das? Habe ich überhaupt so etwas wie ein wahres Selbst? Wüsste ich dann nicht zumindest jetzt, in der Stille des Abends, etwas Sinnvolles mit mir anzufangen?
Und woran zweifelst du?
Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
Gibt es einen guten Tod?
Es ist stockdunkel und absolut still. Ich liege auf dem Rücken, meine gefalteten Hände ruhen auf meinem Bauch. Wie zum Beweis, dass ich noch lebe, bewege ich den kleinen Finger, hebe ein Knie, zwinkere mit den Augen. Und doch werde ich, daran besteht nicht der geringste Zweifel, eines Tages sterben und wahrscheinlich genauso, wie ich jetzt daliege, in einem Sarg ruhen … So oder so ähnlich war das damals, als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mir vor dem Einschlafen mit einem Kribbeln in der Magengegend vorzustellen versuchte, tot zu sein. Heute, drei Jahrzehnte später, ist der Gedanke an das Ende für mich weitaus dringlicher. Ich bin 40 Jahre alt, ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. In diesem Jahr starben zwei Menschen aus meinem nahen Umfeld, die kaum älter waren als ich. Wie aber soll ich mit dem Faktum der Endlichkeit umgehen? Wie existieren, wenn alles auf den Tod hinausläuft und wir nicht wissen können, wann er uns ereilt? Ist eine Versöhnung mit dem unausweichlichen Ende überhaupt möglich – und wenn ja, auf welche Weise?

Jean-Philippe Béja: „Xi Jinping wird nicht von seiner radikalen Gesundheitspolitik abrücken“
Warum hält Xi Jinping an der gescheiterten Zero-Covid-Strategie fest? Laut dem Sinologen Jean-Philippe Béja inszeniert sich der chinesische Präsident als starker Mann, um seine dritte Amtszeit vorzubereiten. Das hat es seit Mao Tse-Tung nicht mehr gegeben.

Abweichung wagen
Und, wie lauten Ihre Neujahrsvorsätze? Weniger Alkohol trinken, mit dem Rauchen aufhören? Mehr Sport treiben, häufiger Freunde treffen? Den Fernseher abschaffen, alle elektronischen Geräte nach Feierabend ausschalten, um wieder mehr Bücher zu lesen? Vielleicht möchten Sie auch auf Verpackungen verzichten, um Plastik zu sparen. Oder Ihr Auto häufiger stehen lassen? Leer liegt das neue Jahr vor uns. Und wie verlockend ist der Gedanke, sich in diese Leere hinein anders, gar ganz neu zu entwerfen! Schlechte Angewohnheiten und alte Ängste abzulegen, um sich in ganz neue Gefilde vorzuwagen. Gesünder zu leben. Tiefer. Selbstbestimmter.

Das Ideal der Intensität
Man kennt es aus Filmen und Romanen: Die Frage nach dem Lohn des Lebens stellt sich typischerweise erst im Rückblick. Als Abrechnung mit sich selbst und der Welt. Wenn das Dasein noch mal vor dem inneren Auge vorbeifliegt, wird biografisch Bilanz gezogen: Hat es sich gelohnt? War es das wert? Würde man alles wieder so machen? Dabei läge es viel näher, die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, nicht so lange aufzuschieben, bis es zu spät ist, sondern sie zum Gradmesser von Gegenwart und Zukunft zu machen. Zum einen, weil sie so gegen spätere Reuegefühle imprägniert. Wer sich darüber im Klaren ist, was das Leben wirklich lebenswert macht, wird gegenüber dem melancholischen Konjunktiv des „Hätte ich mal …“ zumindest ein wenig wetterfest. Zum anderen ist die Frage als solche viel dringlicher geworden: In dem Maße, wie traditionelle Bindungssysteme an Einfluss verloren haben, also etwa die Bedeutung von Religion, Nation und Familie geschwunden ist, hat sich der persönliche Sinndruck enorm erhöht. Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen, ja, die Mühen des Lebens überhaupt auf sich zu nehmen? Was genau ist es, das einem auch in schwierigen Zeiten Halt verleiht? Und am Ende wirklich zählt – gezählt haben wird?
Das zerstreute Ich
Unser Alltag wird zunehmend von Unterbrechungen und Multiasking bestimmt. Im Dauerfeuer der medialen reize fällt es immer schwerer, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Die anzahl der ADHS-Diagnosen steigt ebenso kontinuierlich an wie jene der burnout-Diagnosen. Sind die fliehkräfte des digitalen Kapitalismus im begriff, neben dem alltag auch unser Innerstes zu zerreißen? Doch was wissen wir eigentlich über die wahre Gestalt des menschlichen bewusstseins? Ist unser Denken womöglich von Natur auf permanente zerstreuung angelegt? Stellt das dezentrierte Ich sogar utopische Perspektiven einer neuen, intensiveren Daseinsform in aussicht?
Machen Krisen uns stärker?
Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“, formuliert Friedrich Nietzsche. Aber woran entscheidet sich, ob wir an Schicksalsschlägen scheitern – oder reifen? Was unterscheidet gesunde Widerständigkeit von Verdrängung und Verhärtung? Machen Krisen kreativer? Ermöglichen allein sie wahre Selbstfindung? Oder wären solche Thesen bereits Teil einer Ökonomisierung des Daseins, die noch in den dunkelsten Stunden unserer Existenz nach Potenzialen der Selbstoptimierung fahndet?
Wolfram Eilenberger legt mit Nietzsche frei, wie man existenzielle Krisen nicht nur überleben, sondern für sich nutzen kann. Ariadne von Schirach singt dagegen ein Loblied auf den Menschen als ewiges Mangelwesen, und im Dialog mit dem Kulturtheoretiker Thomas Macho sucht Roger Willemsen nach dem Gleichgewicht zwischen beschädigter Existenz und Liebe zur Welt.