Weltumspannend wohnen
Emanuele Coccia erkundet das Zuhause und lässt dabei Materie und Leben, Subjekte und Objekte ineinanderfließen. Seine Korrektur am anthropozentrischen Weltbild stimmt skeptisch.
Mal ehrlich! Wenn ein Philosoph kommt und sagt, der Planet sei in uns eingedrungen, und damit meint, von „Gaia durchdrungen zu sein heißt, sein Leben immer wieder wechseln und es an andere Arten weitergeben zu müssen“, dann bekomme ich rationalistische Schnappatmung und das Einzige, wovon ich durchdrungen bin, ist der Wunsch nach furztrockenen Evidenzkriterien. In Emanuele Coccias Philosophie des Zuhauses wimmelt es nämlich von – nennen wir es neutral – metaphysischen Unterstellungen. Das Erstaunliche ist, dass das Buch trotzdem interessant ist.
Ausgehend von der Beobachtung, dass sich die Philosophie mehr für den öffentlichen Raum der Städte, für die Agora, und weniger für Schlafzimmer und Küche interessiert, erkennt Coccia, dass wir Städte nicht oder nur um den Preis einer bedrohten Existenz bewohnen können, ja, dass wir überhaupt auf diesem Planeten nur mittels eines Zuhauses existieren können. Rund um diesen Daseinsort entwirft er eine Anthropologie in habitarischer Hinsicht: Stets nimmt er ein persönliches Erlebnis zum Ausgangspunkt, um die Phänomene des Zuhauses zu ergründen.
Vom intimsten Raum, dem Badezimmer, über Dinge, Erinnerungen und Korridore geht es dann in unheimliche Speicher oder virtuelle Erweiterungen des Zuhauses. Coccia haucht in einer unerhört eleganten Sprache diesen Phänomenen anthropologische Grundeinsichten ein.
Umzüge etwa werden „das profane, alltägliche Pendant zum Jüngsten Gericht, in dem die Verdammten von den Auserwählten getrennt werden und eine Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart gezogen wird“. Hier zeige sich, dass das „Zuhause nichts ist, das bereits existiert, sondern etwas, das erst erschaffen werden muss.“ Klingt banal, ist aber nur das Sprungbrett zu einer globalen Perspektive, in welcher der ganze Planet zum Zuhause wird. Das erinnert an Heidegger, der bei Coccia nicht erwähnt wird, aber einmal sagte: „Das Wohnen ist die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind.“
Diese Perspektive ernst zu nehmen, ist für Coccia eine Medizin gegen den identitätspolitischen Zeitgeist: „In diesem weltumspannenden Zuhause wird man zwangsläufig zum Kosmopoliten, denn es ist unmöglich geworden, eine lokale Identität zu beanspruchen. Kontinente und Nationen sind nur mehr Zimmer in einer einzigen großen Wohnung.“ – Schön wär’s! Doch Coccias Träume vom ewigen Frieden betreffen nicht nur die menschlichen Verhältnisse, sondern auch die zur belebten Umwelt. Schon in Die Wurzeln der Welt (2018) und Metamorphosen (2021), den beiden Vermischungs- und Verwandlungs-Büchern, mit denen er bekannt wurde, ging es um eine Korrektur des anthropozentrischen Weltbilds. Die Gleichbehandlung allen Lebens beginnt in seiner Philosophie des Wohnens bei den Haustieren: „Wir müssen lernen, ein Zuhause zu erschaffen, in dem wir nicht mehr wissen, ob wir nun Menschen, Kanarienvögel, Katzen oder Pflanzen sind.“ Es gelte, die Unterschiede der Arten aufzulösen, damit Kohabitation wirklich möglich ist.
Diese Philosophie des Lebens betört mehr, als sie begründet, sie findet unzählige Kennzeichnungen des Zuhauses, die wie sprachliche Sternschnuppen erscheinen und immer einen kleinen Weisheitsfunken enthalten. Mal ist das Zuhause eine „Ansammlung von Anpassungstechniken, die uns helfen, auf dem Planeten zurechtzukommen“, dann wieder ist es „ein nicht enden wollender Tanz, in dem sich Dinge und Menschen gegenseitig kultivieren“, oder es ist „eine Raum-Zeit-Falte, in der auch noch der kleinste Materieklumpen ‚Ich‘ sagt.“ Ob das auch für den Hausstaub gilt, ist zwar zweifelhaft, aber derlei Sätze nisten sich im Denken ein, als wollten sie nicht Überzeugungen verändern, sondern Sichtweisen auf das Leben. Die Frage ist nur, ob es gut ist, zur Veränderung von Gewissheiten den Umweg über metaphysisches Denken zu nehmen: Hatte Wittgenstein nicht einmal gesagt, dass philosophische Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert? Ja, schon, aber bei Coccia feiert die Sprache ja ebenso wenig, wie sie arbeitet. Bei ihm hat sie Feierabend, ist zu Hause, hat die Stiefel der Logik abgelegt, die Mappe mit den Argumenten in die Ecke gestellt und lässt die Gedanken schweifen. Wenn man weiß, worauf man sich einlässt, ist das schon okay. Morgen ist ja auch noch ein philosophischer Arbeitstag. •
Emanuele Coccia
Das Zuhause. Philosophie eines scheinbar vertrauten Ortes
Übers. v. Andreas Thomsen
Hanser, 160 S., 22 Euro