Wer ist mein wahres Selbst?
Echt sein. Einzigartig. Authentisch. Nie war die Sehnsucht nach Eigentlichkeit größer als heute. Gerade in Zeiten der digitalen Selbstdarstellung ist der Übergang von der gekonnten Verstellung in die dauerhafte existenzielle Entfremdung fließend. Auch der Alltag ist bei genauerer Betrachtung eine Abfolge von Situationen, in denen man eine bereits vorbestimmte Rolle möglichst überzeugend zu spielen hat. Wie also kann der Mensch zu sich selbst finden? Gibt es Momente, Orte, Vorbilder des Authentischseins? Hatte Rousseau recht, wenn er den Rückzug zur Natur als Heilmittel anpries? Kommen wir unserem Selbst näher, wenn wir kreativ sind? Eigensinnig? Schlicht und ergreifend: anders? Oder liegt das Problem gerade in der permanenten Aufforderung, sich abzuheben von der Masse? Erleben wir gar einen wahrhaften Terror der Authentizität? Und wenn ja: Wie können wir ihm entkommen? Mit Beiträgen unter anderem von Byung-Chul Han, Georg W. Bertram und Andreas Reckwitz.
Artikel aus dem Dossier
Wer ist mein wahres Selbst?
Kennen Sie auch solche Abende? Erschöpft sinken Sie, vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, aufs Sofa. Sie kommen gerade von einem Empfang, viele Kollegen waren da, Geschäftspartner, Sie haben stundenlang geredet und kamen sich dabei vor wie ein Schauspieler, der nicht in seine Rolle findet. All diese Blicke. All diese Erwartungen. All diese Menschen, die etwas in Ihnen sehen, das Sie gar nicht sind, und Sie nötigen, sich zu verstellen … Wann, so fragen Sie sich, war ich heute eigentlich ich? Ich – dieses kleine Wort klingt in Ihren Ohren auf einmal so seltsam, dass Sie sich unwillkürlich in den Arm kneifen. Ich – wer ist das? Habe ich überhaupt so etwas wie ein wahres Selbst? Wüsste ich dann nicht zumindest jetzt, in der Stille des Abends, etwas Sinnvolles mit mir anzufangen?
Mein #authentischer Tag
Schau mal, wie echt ich bin! Der digitale Mensch ist permanent auf der Jagd nach authentischen Erfahrungen. Keine ganz leichte Übung. Unser Autor dokumentiert den Tag eines typischen Großstadtnomaden.
Sind Kreative näher am eigenen Selbst, Herr Reckwitz?
Schöpferisches Arbeiten gilt als Inbegriff des Authentischseins. Aber was, wenn die Kreativität zu einem gesellschaftlichen Imperativ wird? Der Soziologe Andreas Reckwitz über Selbstverwirklichung, unerfüllbare Sehnsüchte und den Reiz der Routine.
Das bin ich - Vier Beispiele
Schluss mit der Verstellung – aber wie? Vier Menschen haben es vorgemacht: als Provokateur, als Idiot, als Dandy und als Widerstandskämpferin. Was können wir heute von ihnen lernen?
Der Terror des Andersseins
Der Mensch im Kapitalismus muss sich von der Masse unterscheiden. Doch gerade die Abgrenzung und der permanente Vergleich führen in die Hölle der Konformität.
Spielen wir immer nur Theater?
Menschen sind Schauspieler. Durch und durch. Ihre Rollen ablegen können sie nie. Oder vielleicht doch? Der Philosoph Georg W. Bertram und die Dragqueen BayBJane alias Mourad Zerhouni über Authentizität, Anerkennung und Momente der Wahrheit.