Die Lehren des Gelächters
Nachdem Bilder des lachenden Armin Laschet für Empörung sorgten, musste sich der Kanzlerkandidat entschuldigen. Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff erläutert, was dieser Fall über die sich wandelnde Mediendemokratie verrät und warum die sozialen Netzwerke viel besser als ihr Ruf sind.
Es war eine Szene von wenigen Sekunden. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Tagen im Katastrophengebiet von Erftstadt ein Pressestatement gab und dabei die in Aussicht gestellten Hilfen von Bund und Ländern begrüßte, ließ sich NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet offenbar zu einem Scherz hinreißen. Laschet, im Hintergrund stehend, lachte ebenso kurz auf wie einige Personen, die sich zusammen mit ihm in dem Gebäudeeingang befanden. Die Folgen waren gravierend. Auf Twitter wurde „Laschets Eignung als Kanzlerkandidat“ in Zweifel gezogen, der Hashtag #LaschetLacht trendete. Die Reaktionen fielen derart heftig aus, dass sich Laschet gleich zweimal veranlasst sah, zu dem „Vorfall“ Stellung zu beziehen. Bedauerte er zunächst in einem Tweet den „Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden ist“, sprach er in einem späteren TV-Interview davon, dass es „unpassend“ und „nicht in Ordnung“ gewesen sei, „in einem solchen Moment zu lachen“.
Interessant ist an diesem Fall die mediale Verstrickung. Obwohl die Szene durch TV-Kameras eingefangen wurde, war sie im Fernsehen zunächst gar kein Thema. Stattdessen waren es die sozialen Medien, in denen eine knappe Videosequenz mit Verweis auf Laschets Verhalten geteilt wurden. Viele retweeteten die Szene und versahen sie mit durchaus nicht unerheblichen Fragen: Worüber wurde in dieser Situation gelacht? Wer waren die anderen Personen? Grundtenor der Tweets war meist, dass die Bilder Ausweis einer Charakterschwäche seien, ja dass nun offenkundig sei, es mit einem Heuchler zu tun haben. Wer sich so benehme, dürfe „niemals Kanzler werden“. Von einem „würdelosen Verhalten“ war die Rede, von „Pietätlosigkeit“, andere schrieben „EKELHAFT, WIDERWÄRTIG“.
Beobachtung zweiter Ordnung
Als besonders verräterisch wurde ein dpa-Foto der Begebenheit eingestuft. Es zeigt Laschet in just jenem Augenblick, in dem er sich, scheinbar die Hände reibend, zur linken Seite wendet und dabei grinsend die Zunge herausstreckt. Der Kanzlerkandidat als Clown, als feixender Zotenreißer inmitten einer der schwersten Umweltkatastrophen, die dieses Land je erleben musste. Die Suggestion einer Entlarvung war wesentlich an die vermutete Szenerie gebunden: Indem man davon ausging, dass sich Laschet – warum auch immer – außerhalb der Kamerablicke gewähnt haben musste, wurden Video und Fotografie als visuelle Belege für sein wahres Sein gedeutet: „Es gibt nur wenige Augenblicke in denen das Licht ehrlich auf den Bewerber fällt. Heute war solch ein Moment“, kommentierte Norbert Dohn vom WDR.
Das Ereignis zeigt wie unter einem Brennglas, wie sich derzeit verschiedene mediale Öffentlichkeiten entwickeln. Wer sich von den klassischen Massenmedien unbeobachtet fühlt, muss damit rechnen, zufällig doch von ihnen beobachtet zu werden. Konnte man noch bis vor einigen Jahren in solchen Fällen darauf hoffen, dass sich der Fauxpas „versendet“, stehen die Massenmedien heute oftmals unter einer überaus präzisen und sensiblen Beobachtung durch User:innen der sozialen Medien. Die Massenmedien haben diese Beobachtung ihrer Sendungen und Beiträge – eine Beobachtung zweiter Ordnung – längst erkannt. Daher beobachten sie nun ihrerseits wieder besonders aufmerksam, was in den sozialen Medien an den Berichterstattungen der Massenmedien beobachtet wird. Es war denn wohl auch kein Zufall, dass ausgerechnet der WDR besonders reichweitenstark das zunächst auf Twitter thematisierte Video wiederum über Twitter teilte. Offenbar lernen die Massenmedien – erst – aus den sozialen Medien, was sie vor Ort eigentlich beobachtet haben.
Lernen durch Social Media
All dies mag man bedauern – und einmal mehr das Klagelied einer moralisch aufgescheuchten Social-Media-Community anstimmen, die jede noch so kleine menschliche Regung an den öffentlichen Pranger stellt, um vermeintlich Unliebsame zu canceln. Doch ist dies eine Unterstellung, die mit abwertender Absicht übersieht, was sich in den letzten Jahren entwickelt hat: Vorbei die Zeit, als es genügte, Gummistiefel anzuziehen, um das Bild eines ebenso betroffenen wie entschlossenen Krisenmanagers in die Welt zu setzen. Solche Auftritte avancieren heute zum Gegenstand einer zweiten und dritten Deutung.
Gerade das Begehen von Orten, an denen sich eine Katastrophe ereignet hat, wird vor allem in den sozialen Medien kritisch eingeordnet, mit getroffenen Aussagen abgeglichen, mit anderen, ähnlichen Bildern in Beziehung gesetzt und somit insgesamt distanzierter – souveräner – wahrgenommen. Wir erleben dabei keine Entgrenzung der Politischen Korrektheit, sondern schlicht die Folgen pluralisierter Medien- und Bildkompetenzen. Sehr viele Menschen haben in den und durch die sozialen Medien gelernt genauer hinzusehen, schärfer abzuwägen, bewusster einzustufen. Sie sind bild- und inszenierungsskeptischer geworden, ohne plumpen Verschwörungstheorien nachzurennen.
Interpretationsüberschüsse
Dass es dabei regelmäßig zu Interpretationsüberschüssen kommt – dass also beispielsweise aufgrund eines Fotos auf den Charakter eines Menschen geschlossen wird –, liegt in der Natur der Sache. Wo verschiedene Menschen dasselbe beobachten, werden unterschiedliche Auslegungen getroffen. Es könnte Aufgabe der Kulturwissenschaften sein, für eine Versachlichung solcher nicht unproblematischer Dynamiken zu werben – um dann etwa zu zeigen, dass Beobachtung immer auch heißt, von einem bestimmten Standpunkt aus, einen mitunter vordefinierten (Bild-)Ausschnitt wahrzunehmen. Für Politiker:innen wiederum können diese Entwicklungen nur hilfreich sein.
Anstatt sich in ungelenken Entschuldigungsversuchen – die sich oft, wie zunächst auch bei Laschet, als impliziter Vorwurf einer Fehldeutung („Umso mehr bedauere ich den Eindruck“) artikulieren – zu verrennen, könnten sie einerseits noch sensibler darauf achten, welche Gesten abwertende Wirkungen nach sich ziehen können. Andererseits könnten sie lernen – und mit Respekt den Reaktionen gegenübertreten, die in den sozialen Medien gezeigt werden. Denn wer in einem demokratischen Gemeinwesen eine öffentliche Figur sein will, muss zunächst zu schätzen wissen, was unterschiedliche demokratische Öffentlichkeiten mitzuteilen haben. •
Daniel Hornuff lehrt als Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule Kassel. Zuletzt erschien von ihm „Hassbilder“ in der Reihe „Digitale Bildkulturen“ bei Wagenbach (2020).
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