Die Vielfalt der Bedürfnisse
Kunst, Sex, Drogen, Klima: Die amerikanische Schriftstellerin Maggie Nelson fragt, wo Freiheit beginnt und endet.
Viel Lob erntete die queer-feministische Dichterin und Kulturkritikerin Maggie Nelson, die in den USA oft als bedeutendste Denkerin nach Susan Sontag gehandelt wird, für ihr 2017 übersetztes Buch Die Argonauten. In diesem Werk der „autotheory“, einem zwischen Memoir und Philosophie flackernden Schreiben, berichtet sie warm, unverstellt und intim über die Beziehung zu ihrem genderfluiden Partner: Dessen Transition mit Hormonbehandlung und Brustentfernung verlief zeitgleich mit ihrer eigenen Schwangerschaft. Auch die nachfolgenden Bände, Die roten Stellen und Bluets, oszillieren zwischen privaten, essayistischen und manchmal auch poetischen Tonlagen. Nelsons neues Buch über Freiheit, der sie sich auf vier Feldern annähert – Kunst, Sexualität, Drogen, Klimawandel –, ist völlig anders. Bemerkenswert ist die Form, die sie als „schwache Theorie“ ohne neues begriffliches Register oder als „lautes Nachdenken mit anderen“ bezeichnet. Nelson hält hier Persönliches zurück und wirft sich vollends in die Theorie. In dieser schwimmt sie mit ihren geistigen Helden über 300 Seiten, an Klippen und vorgeblich sicheren Inseln vorbei, hinaus ins offene Meer epistemologischer Unsicherheit.
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Weitere Artikel
Tiefenbohrung
In seiner Schonungslosigkeit gleicht dieses Buch einem Obduktionsbericht: Im Zentrum steht der brutale Mord an Maggie Nelsons Tante Jane.

Wann ist Kunst?
Zum heutigen Welttag der Kunst erläutert Eléonore Clovis mit dem US-amerikanischen Philosophen Nelson Goodman, warum die Frage „Was ist Kunst?“ falsch gestellt ist.

Unziemliches Verhalten
Das Memoir von Rebecca Solnit beginnt mit dem ziemlich unziemlichen Satz eines berühmten Poeten und endet mit der Bilanz einer namenlosen Handleserin.

Germany’s Next Topmodel – Vielfalt verkauft sich
Morgen findet das Finale der 17. Staffel von Germany’s Next Topmodel statt. Die Castingshow bemüht sich um einen Image-Wandel. Das Motto lautet: Diversity. Doch offenbart sich die behauptete Vielfalt als Verhärtung des Identitätsdenkens. Ein Impuls von Theresa Schouwink.

Judith Butler und die Gender-Frage
Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?
Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.
Wehrhafte Demokratie und ihre Eliten: Wie Karl Mannheim die Freiheit planen wollte
Wo gegenwärtig die Diagnose von der Krise der liberalen Demokratie gestellt wird, ist der Ruf nach „wehrhafter Demokratie“ nicht weit. Aber was ist damit gemeint? Die Begriffsgeschichte erschließt eine vergessene Wurzel des Begriffs: Karl Mannheims „Planung für Freiheit und Vielfalt“.

Die Schriftstellerin als Windel
Manchmal bleibt nach einem Abend im Theater diese eine Formulierung hängen. Claas Oberstadt geht diesen subjektiven Schlüsselsätzen nach und fragt sich, nach Elfriede Jelineks Angabe der Person, wie es wohl ist, sich selbst als „Windel für die Welt“ zu fühlen.

Lützerath: Wer ist hier undemokratisch?
Als Protest gegen den geplanten Abriss des Dorfes Lützerath zur Abtragung von Kohle kam es zu zahlreichen Blockaden durch Klimaaktivisten. Ihr Widerstand wurde von vielen Politikern als antidemokratisch angeklagt. Schaut man jedoch genau hin, zeigt sich: Die vermeintlichen Demokraten sind die eigentlichen Antidemokraten.
