Fliegst Du noch oder reist Du schon?
Das Flugzeug hat die Menschen zum Träumen gebracht. Jetzt ist es uns peinlich geworden. Wir sind vom technischen Wunder zur „Flygskam“ übergegangen, einem schwedischen Begriff für die „Scham des Fliegens“. Doch können wir unsere Art zu reisen überdenken?
In Die Luft und die Traumbilder erklärt der Philosoph Gaston Bachelard, dass die Flügel eines Flugzeuges nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf unsere Vorstellungskraft eine entscheidende Rolle gespielt haben. Lange Zeit galt das Fliegen als ein abstrakter Traum und ein unerreichbarer Wunsch. Vor der Entwicklung des Flugzeugs wurde dieser Wunsch durch das Bild des federgeschmückten Vogelmenschen verkörpert. Die unbeweglichen Stahlflügel haben mit dieser mystischen Gestalt nur noch wenig zu tun. Das Bild des Ikarus wurde von der funktionalen Maschine abgelöst. Aus dem mystischen Flügelmenschen wurde ein konkretes und technisches Projekt. Wo sich der griechische Dichter ein Vogel vorstellte, hat der moderne Mensch einen Piloten eingesetzt.
Mit der Luftfahrt wurde der Traum vom Fliegen menschlicher. In seinem Buch Wind, Sand und Sterne aus dem Jahr 1943 erzählt der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry von dem Moment des Starts: „Der Flieger schließt die Hände über den Griffen des Steuerrads, und langsam sammelt er wie ein Geschenk in seiner hohlen Hand diese wachsende Kraft. Die metallenen Nerven der Steuerung werden zu Boten seiner Macht.“ Der Pilot ist mit dem Flugzeug wie mit einem lebendigen Körper verbunden. Die Flugtechnik ist das Ergebnis einer organischen und geheimnisvollen Verbindung zwischen Mensch und Maschine.
Überfüllter Himmel
Später wurde der Himmel zum Arbeitsplatz. Für Saint-Exupéry ist der Pilot in der Lage den Himmel auf eine neue Weise zu lesen: „Die Farben von Erde und Himmel, die Spuren des Windes auf dem Meer, die Wolken, die das Abendrot vergoldet, das alles sind für ihn keine Gegenstände der Bewunderung, sondern des Nachdenkens.“ Der Himmel ist für ihn nicht länger ein bloßes Schauspiel. Wie ein Bauer, der seine Felder beobachtet, muss auch der Maschinenführer den Himmel als Besitzender begreifen, um „Zeichen des Schnees, die Zeichen des Nebels, die Zeichen einer glücklichen Nacht“ zu erkennen, die Kursänderungen erforderlich machen könnten. Aus dem Inneren der Wolken heraus macht sich der Pilot den Himmel zu eigen.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Warum schämen wir uns?
Das Gesicht wird rot und irgendwas in uns zieht sich zusammen, das war wieder mal peinlich. Aber warum empfinden wir Scham und wozu dient das Gefühl? Vier Philosophen sind nicht um eine Antwort verlegen.

Das Denken im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
Denken zu können, das unterscheidet den Menschen mutmaßlich von allen anderen Wesen. Doch worauf beruht dieses Vermögen? Heißt Denken Rechnen? Besteht sein Wesen in der Fähigkeit, eigene Urteile zu fällen? Oder läge an seinem Grund gar das erotische Begehren nach Weisheit? Vor allem aber: Wie können wir uns in der Kunst des Denkens schulen?
Im Zeitalter immer leistungsstärkerer Denkmaschinen könnte sich an diesen Fragen nicht weniger als die Zukunft unserer Art entscheiden. Höchste Zeit also, gemeinsam darüber nachzudenken
Woher kommt das Neue?
Es gibt diesen Punkt, an dem das Alte nicht mehr passt. Mit einem Mal werden Gewohnheiten schal, Gewissheiten brüchig, Routinen und Rituale zu eng. Aber was tun, wenn die Sehnsucht nach dem Neuen erwacht, während unklar ist, wo es zu suchen wäre? Wie soll es sich einstellen, das Neue? Woher kann es kommen? Aus uns selbst oder aus dem Nichts? Ist das Neue überhaupt eine Befreiung – oder ein gesellschaftlicher Imperativ im Zeichen des technischen Fortschritts? Bleib up to date! Erfinde dich neu! Sei kreativ! Das sind die Losungen unserer Zeit, deren permanenter Wandel uns zur Anpassung zwingt. Wagen wir also den Sprung ins Ungewisse, um zu finden, was noch nicht da ist.
Fundamentaler Wandel
Die Islamische Revolution im Iran hat nicht nur den politischen Islam auf die Weltbühne gebracht, sondern auch politisches Handeln neu gedacht. Bei Michel Foucault, der 1978 als Reporter in den Iran reiste, leitete sie eine folgenreiche Wende im Denken ein.

Geld fürs nicht Nicht-Fliegen – ein Gedankenexperiment
Klimaschutz muss sich lohnen – dieser politische Slogan klingt verlockend. Denkt man ihn jedoch zu Ende, ist das Konzept weder sympathisch noch griffig.

Andrea Büttner: „In der Scham liegt radikales Potenzial“
Andrea Büttner hat ein Buch über Scham und Kunst geschrieben. Hier erklärt sie, warum unsere Gesellschaft heute alles andere als schamlos ist und die Beschämung eine Renaissance erlebt. Dieser Text ist zuerst bei Monopol erschienen.

Klima der Angst
Die Klimakrise hat eine große psychoaffektive Dimension. Neben Angst und Hoffnung spielt dabei auch Trotz eine große Rolle. Damit muss sich die Klimabewegung beschäftigen – und besonders ihren Umgang mit Angst überdenken.

QRT: Der Tech-Druide
Wie kaum jemand hat er das Westberliner Lebensgefühl der 1980er- und 90er-Jahre auf den Begriff gebracht: QRT war Mythologe, Heldenforscher und Beschleunigungsphilosoph und pflegte ein wildes Denken. Heute wäre er 60 Jahre alt geworden.
