Frédéric Keck: „Für Xi Jinping ist die Welt dazu bestimmt, sich wieder um China herum zu konzentrieren“
Im Zuge des diesjährigen Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas hat Xi Jinping seine Ambitionen unterstrichen, „Taiwan zurückzuerobern“ und „eine neue menschliche Zivilisation“ zu schaffen. Frédéric Keck über die Bedeutung von Chinas imperialen Ambitionen.
Was steht auf dem gerade eröffneten 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Spiel?
Dieser Kongress soll die Richtung der Partei für die kommenden Jahre festlegen. Er folgt auf die zwei von der Covid-Pandemie geprägten Jahren, in denen China abwechselnd getadelt und gelobt wurde: Zuerst wurde China getadelt, dass es das Virus "entkommen" ließ, dann für seine wirksamen Gegenmaßnahmen, mit denen es gelang, die Zahl der Opfer niedrig zu halten, gelobt, um dann wieder für die Strenge seiner "Null-Covid-Politik" kritisiert zu werden. Es ist interessant, den jetzigen Parteitag mit dem 16. Parteitag von 2002 zu vergleichen, als die KPCh mehrere Monate hinsichtlich der Reaktion auf SARS verloren hatte, weil sie zu der Zeit mit der Vorbereitung der Ernennung von Generalsekretär Hu Jintao beschäftigt war. Auch jetzt schien das Land mehrere Monate lang in Erwartung des Kongresses wie gelähmt. Offenbar gab es interne Versuche, Xi Jinping wegen des Scheiterns seiner Null-Covid-Politik nicht wieder zu nominieren. Doch offensichtlich ist es ihm gelungen, das Prinzip seiner eigenen Nachfolge aufrechtzuerhalten, womit er gegen die seit Deng Xiaoping (1904-1997) geltende Regel, nicht mehr als zwei Amtszeiten zu absolvieren, verstoßen hat. Wir befinden uns also in einem interessanten Moment der Bestätigung einer Politik, die sowohl von der Partei als auch von der öffentlichen Meinung kritisiert wurde. Gleichzeitig ist es eine Bekräftigung einer Vision, die über diese für China ziemlich negative Episode, in der mit Covid das Trauma von SARS in noch größerem Ausmaß regeneriert wurde, hinausweist. Aber so sehr SARS damals eine Regierung von Ingenieuren hervorgebracht hatte, die transparenter und bereit war, mit internationalen Inspektoren zu kooperieren – insbesondere durch die Unterstützung bei der Wahl von Margaret Chan zur Direktorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2006, die bis dato in Hongkong treibende Kraft im Kampf gegen SARS war –, so sehr zeigt sich heute der umgekehrte Wille, sich von der internationalen Gemeinschaft zu trennen und eine völlig eigenwillige Politik zu verfolgen.
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