Lasst alle Glieder sprechen!
Vier neue Bücher nehmen die vermeintliche Natürlichkeit des Körpers unter die Lupe und erzählen von seinem gesellschaftlichen Werdegang. Eine Reise durch die Kulturgeschichte der Körperteile.
Der Körper gilt oft als das Natürlichste der Welt. Seit Descartes zwischen einer „res extensa“ und einer „res cogitans“ – einer ausgedehnten und einer denkenden Substanz – unterschied, scheint der Körper auf der Seite einer animalischen Natur zu stehen, während der Geist in höheren Sphären unterwegs ist. Doch diese Unterscheidung ist alles andere als selbstverständlich.
Geschichte eines politischen Körperteils lautet der Untertitel von Anja Zimmermanns Buch über die Brust. Gerade die „private parts“, wie die Geschlechtsteile auf Englisch auch genannt werden, sind eben nicht privat, sondern hochpolitisch. Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin analysiert das Politikum der Brust anhand einer Politik der Bilder: In einem wilden Ritt durch die Ikonografie – von frühen Venus-Darstellungen über Femen-Aktionen bis hin zu Merkels Dekolleté – zeigt sich die Brust als überdeterminierter Körperteil zwischen Omnipräsenz und Unsichtbarmachung, zwischen Kunst und Pornografie, zwischen Sexismus und Protest. Wie kaum eine andere Region des Körpers wurde die Brust dazu genutzt, Weiblichkeit an die Natur zu binden. Doch Zimmermann berichtet von stillenden Männern, von Ziegen, die als Ammen fungieren, und einer Tradition, in der das Saugen an der Brust Christi als heiliger Akt galt. Damit entlarvt sie gerade die biologistische Kopplung von „Brust, Stillen und Weiblichkeit als etwas, das sich keineswegs aus der ‚Natur‘ ergibt“ – sondern von gesellschaftlichen „Interventionen“ überformt wird.
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