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Bild: Sebastian Dammark (IMAGO / Gonzales Photo)

Impuls

Loch im Gesicht

Florian Werner veröffentlicht am 09 September 2023 5 min

Der neue Song von Till Lindemann heißt „Zunge“. Die phallische Dimension des Organs blendet der Sänger aus und rückt stattdessen die Sprechfunktion in den Fokus. Was hat das zu bedeuten? Von Florian Werner.

 

Eines muss man Till Lindemann ja lassen: Er hat ein Händchen für prägnante Ein-Wort-Titel. Für Begriffe als Songtitel, die so auratisch aufgeladen sind, dass sie weit über die Grenzen ihrer Silben hinausragen, dass ihre bloße Erwähnung sofort verzweigte Assoziationsmaschinen in Gang setzt: Mutter. Sonne. Deutschland. Und jetzt eben der Name der neuen Single: Zunge.

Der Song ist die erste musikalische Wortmeldung des Sängers, seitdem ein Ermittlungsverfahren „wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten wie auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz“ gegen ihn eingeleitet wurde, wie es die Staatsanwaltschaft Berlin formuliert; das Verfahren wurde vor einer guten Woche eingestellt. Angesichts der erhobenen Vorwürfe kommt man kaum umhin, „Zunge“ als Kommentar zu diesem Ermittlungsverfahren lesen, ihn als öffentliche Antwort an Lindemanns Kritiker zu lesen. Zumal der Sänger im Juli das letzte der ausverkauften Berlin-Konzerte seiner Band mit dem etwas oberlehrerhaften Merkvers beendet hatte: „Bösen Zungen glaubt man nicht / Die Wahrheit kommt doch eh ans Licht.“

 

Abendländischer Logozentrismus

 

Der Text beginnt dann aber doch ganz zeitlos, überpersönlich, unkonkret: „Da ist ein Loch in dem Gesicht / Das ist der Mund, mit dem man spricht“, raunt Lindemann — natürlich in dem für ihn typischen gerollten Zungen-R — über trügerisch weich dahingetupften gebrochenen Klavierakkorden. Diese ersten beiden Zeilen, auch das muss man dem Texter zugestehen, sind gar nicht so übel: Das „Loch im Gesicht“ führt erst ganz bewusst in die Irre, lässt zunächst an schwere Gewaltdelikte denken, gemahnt von Ferne sogar an die verschobene Körper- und Weltwahrnehmung des Franz Biberkopf aus Döblins „Berlin Alexanderplatz“ („sie hatten Gabeln und stachen sich damit Fleischstücke in den Mund, dann zogen sie die Gabeln wieder heraus und bluteten nicht.“). Nicht zuletzt evoziert es auch den mittelalterlich-christlichen Topos vom alles verschlingenden Höllenrachen, vom Mund als Eingang ins Schattenreich, sei es in die metaphysischen Tiefen der Erde oder eben in den sündhaften Abgrund des eigenen Körpers, diesen Hort der Sinnlichkeit und Sexualität und Verdauung.

Die Zunge ist bekanntlich ein Organ, mit dem man allerlei anstellen kann, saugen, nuckeln, lecken, schmecken, schnalzen, küssen und, natürlich, auch sprechen. Dass Till Lindemann, der seit bald drei Jahrzehnten den Part des hypersexualisierten Überschurken sehr glaubhaft auf den Bühnen dieser Welt (und den Anschuldigungen etlicher Frauen zufolge: auch darunter) verkörpert, dass ausgerechnet dieser Lindemann also nun ausgerechnet diese letzte Funktion der Zunge ins Zentrum eines Songs rückt: Das muss man sich dann doch einmal, Pardon, auf der Zunge zergehen lassen. Kein Hinweis auf die gespaltene Zunge des Teufels. Keine Anspielungen auf die phallischen Qualitäten des Organs, keine Schlüpfrigkeiten oder Schleimereien, nein: Hier regiert immer noch der gute, alte, abendländische Logozentrismus, der die Zunge stets nur als Organ der Sprache begreift. „Aus den Gedanken fällt ein Wort / Die Zunge sorgt für Worttransport“ — ja, Herrschaftszeiten: Sind wir denn hier bei Wilhelm von Humboldt?

 

Pathetische Selbstviktimisierung

 

Im Refrain wird es dann doch ein bisschen eklig, und das liegt nicht nur daran, dass sich zwischenzeitlich ein paar arg breitbeinige Gitarren, E-Bass, beckenbesessenes Schlagwerk dazu geschaltet haben. „Meine Zunge hat keinen Knochen / Und so sag’ ich, was ich will / Ach, mein Herz, das ist gebrochen / Doch es schlägt noch, steht nie still“ — das ist keine Täter-Opfer-Umkehr, das ist einfach nur pathetische Selbstviktimisierung, das romantische Klischee eines an Welt, Weibern und anderen Widerfährnissen leidenden Mannes, der sich aber dennoch märtyrerhaft in den aussichtslosen Kampf stürzt. (Es ist, ganz nebenbei bemerkt, physiologischer Quatsch: Denn dass er kein Knochengerüst in der Zunge hat, ist kein heroisches Alleinstellungsmerkmal von Till Lindemann, sondern eine Eigenschaft, die er mit allen Säugetieren gemein hat). Aus der Sphäre der Gegenwartspolitik meint man ein fernes Echo des bayrischen Vizeministerpräsidenten Hubert Aiwanger zu hören, der freilich wegen ganz anders gearteter Vorwürfe in der Kritik stand — die Debatte darüber aber ebenfalls umgehend in eine tragische Opfererzählung umzumünzen wusste: Seht her, ich soll mundtot gemacht werden, sie wollen mir die Zunge verbieten, aber ich rede weiter. Jetzt erst recht.

Auch das Cover der Single macht es nicht besser: Man sieht in Großaufnahme sowie in karfreitagshafte Rottöne getaucht die Lippen des Sängers, Blut trieft aus frischen Wunden, der Mund ist kein „Loch im Gesicht“, sondern mit chirurgischem Faden und vier groben Stichen zusammengenäht worden: „Meine Zunge ist gefangen / Und sie kann sich nicht befrei’n / Deine Zähne weiße Zangen / Kann nicht singen / Nicht mal schrei’n“, singt beziehungsweise schreit Lindemann in performativem Widerspruch zum Inhalt — man könnte das raffiniert finden, wenn das Manöver, sehr laut zu sagen, dass man ja nichts mehr sagen dürfe, nicht so ein abgeschmackter rhetorischer Move wäre.

Es ist eine wuchtige ikonographische Traditionslinie, in die Lindemann sich hier einreiht: Das Coverfoto ist eine nicht gerade subtile Anspielung auf den russischen Performancekünstler Pjotr Pawlenski, der sich 2012 vor einer Kathedrale in St. Petersburg auf ähnliche Weise die Lippen vernähte, um gegen die Inhaftierung des feministischen Kollektivs Pussy Riot zu demonstrieren (und damit wiederum auf eine Szene aus Rosa von Praunheims Film Schweigen = Tod anspielte). Pawlenski wanderte später für seine Aktionen ins Gefängnis, seit 2016 lebt er im französischen Exil. Die Unterstellung, die bei Lindemanns Cover-Motiv mitschwingt, nämlich dass der Sänger sich in einer ähnlichen Bedrohungslage sowie in einem vergleichbaren politisch-juridischen System wie Pawlenski befinde — das kann man nun tatsächlich, um eine allerletzte Zungenmetapher zu verwenden, geschmacklos finden. Ein Jahr, nachdem Pjotr Pawlenski sich die Lippen zunähte, nagelte der Künstler sich übrigens mit seinem Hodensack am Roten Platz fest. Ob Till Lindemann für seine Kunst zu ähnlichen Opfern bereit ist, muss sich erst noch erweisen. •

 

Florian Werner ist Schriftsteller, promovierter Literaturwissenschaftler und Musikkritiker. Sein neues Buch „Die Zunge. Ein Porträt“ (nominiert für den Bayerischen Buchpreis) erscheint am 25.9. bei Hanser Berlin. 
 

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