Müll-Management im All
Der jüngste Abschuss eines sowjetischen Satelliten rückt den gefährlich wachsenden Weltraumschrott in den Fokus. Anstatt ihn zu verhindern, wird er bürokratisch erfasst. Über eine neue Ära der Risikoverwaltung.
Vergangenen November zerstörte Russland durch Raketenbeschuss einen seiner ausgedienten, sowjetischen Satelliten namens Kosmos-1408. Der Abschuss produzierte eine gewaltige Trümmerwolke von über 1500 größeren und hunderttausend kleineren Bruchteilen. Die Episode sorgte international für Empörung: Offenbar war der Abschuss vom russischen Verteidigungsministerium nicht an die eigene Raumfahrtbehörde und die von ihr mitbetriebene internationale Raumstation ISS weitergegeben worden. Und so steuerte die ISS gefährlich nah auf das durch den Abschuss produzierte Trümmerfeld zu. Weil keine Zeit mehr war, die Flugbahn noch zu ändern, blieb den sieben ISS-Astronauten nichts anderes übrig, als die Station zu räumen und sich in angedockten Raumschiffen für eine mögliche Evakuierung in Stellung zu bringen. Zum Ernstfall kam es nicht.
Der Philosoph Hans Jonas hatte die unkalkulierbaren Risiken, die unser technischer Fortschritt birgt, früh im Blick. In seinem 1979 erschienenen Werk Das Prinzip Verantwortung warnte er vor jenen „vom technologischen Tun jeweils mit Nahzielen in Gang gesetzten Entwicklungen“, die schnell „ein selbsttätiges Momentum“ erwerben, „kraft dessen sie nicht nur (…) irreversibel, sondern auch vorantreibend sind und das Wollen und Planen des Handelnden überfliegen“. Um die Kräfte der Technik unter Kontrolle zu halten, warb er für ein Vorsorgeprinzip. Allgemein gesprochen heißt das: mögliche, wenn auch unwahrscheinliche Schäden vermeiden.
Philosophie Magazin +
Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Voll optimiert und stark erschöpft
Bei vielen Menschen hat die Pandemie tiefe psychische Spuren hinterlassen. Umso notwendiger, dass das Thema Depression nun verstärkt in den Fokus rückt. Doch anstatt dieses zu individualisieren, sollten wir über seine politischen Dimensionen sprechen.
Wie schaffen wir das?
Eine Million Flüchtlinge warten derzeit in erzwungener Passivität auf ihre Verfahren, auf ein Weiter, auf eine Zukunft. Die Tristheit und Unübersichtlichkeit dieser Situation lässt uns in defensiver Manier von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Der Begriff der Krise, aus dem Griechischen stammend, bezeichnet den Höhepunkt einer gefährlichen Lage mit offenem Ausgang – und so steckt in ihm auch die Möglichkeit zur positiven Wendung. Sind die größtenteils jungen Menschen, die hier ein neues Leben beginnen, nicht in der Tat auch ein Glücksfall für unsere hilf los überalterte Gesellschaft? Anstatt weiter angstvoll zu fragen, ob wir es schaffen, könnte es in einer zukunftszugewandten Debatte vielmehr darum gehen, wie wir es schaffen. Was ist der Schlüssel für gelungene Integration: die Sprache, die Arbeit, ein neues Zuhause? Wie können wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, einbinden in die Gestaltung unseres Zusammenlebens? In welcher Weise werden wir uns gegenseitig ändern, formen, inspirieren? Was müssen wir, was die Aufgenommenen leisten? Wie lässt sich Neid auf jene verhindern, die unsere Hilfe derzeit noch brauchen? Und wo liegen die Grenzen der Toleranz? Mit Impulsen von Rupert Neudeck, Rainer Forst, Souleymane Bachir Diagne, Susan Neiman, Robert Pfaller, Lamya Kaddor, Harald Welzer, Claus Leggewie und Fritz Breithaupt.
Loch im Gesicht
Der neue Song von Till Lindemann heißt „Zunge“. Die phallische Dimension des Organs blendet der Sänger aus und rückt stattdessen die Sprechfunktion in den Fokus. Was hat das zu bedeuten? Von Florian Werner.
Der Trend zum Teddybär
Kuscheltiere sind auch für Erwachsene immer öfter ein treuer Begleiter. Wer im wachsenden Hang zu Stoffgefährten jedoch nur einen Ausdruck gesellschaftlicher Infantilisierung sieht, verkennt die tiefe Ambivalenz, die die Plüschfreunde auszeichnet.
Der unbewegte Beweger
Institutionen nehmen bei Kafka eine doppelte Rolle ein: Während er seinen bürokratischen Beruf als Hindernis empfand, sind überpersönliche Machtapparate in seinem Werk oft die eigentlichen Treiber der Handlung.
Coole Distanz
Eine Ausstellung im Berliner Gropius Bau stellt Kunst aus der amerikanischen Pop-Art und dem sowjetischen Avantgardismus gegenüber.
Peter Singer: „Der Impfstoff ist eine große Herausforderung“
Das deutsche Biotechnologie-Unternehmen BioNTech und der amerikanische Pharmakonzern Pfizer verkündeten jüngst, dass der von ihnen entwickelte Impfstoff gegen Covid-19 in der Phase-3-Studie eine 90-prozentige Wirksamkeit aufweise. Damit rückt eine Zulassung in greifbare Nähe. Gleichzeitig wird dadurch aber auch die Frage virulent, nach welchen Kriterien er verteilt werden sollte. Der australische Philosoph Peter Singer, Mitbegründer des „effektiven Altruismus“ und einer der einflussreichsten Denker der Gegenwart, spricht im Interview über die ethischen Herausforderungen, die mit dem Impfstoff verbunden sind.
Kulturanzeiger: Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes
In unserem Kulturanzeiger stellen wir in Zusammenarbeit mit Medienunternehmen ausgewählte Neuerscheinungen vor, machen die zentralen Ideen und Thesen der präsentierten Filme zugänglich und binden diese durch weiterführende Artikel an die Philosophiegeschichte sowie aktuelle Debatten an. Diesmal im Fokus: Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes. Ein Film von Edgar Reitz.