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Bild: Yuris Alhumaydy (Unsplash)

Impuls

Voll optimiert und stark erschöpft

Julia Werthmann veröffentlicht am 10 Juni 2021 5 min

Bei vielen Menschen hat die Pandemie tiefe psychische Spuren hinterlassen. Umso notwendiger, dass das Thema Depression nun verstärkt in den Fokus rückt. Doch anstatt dieses zu individualisieren, sollten wir über seine politischen Dimensionen sprechen.


Soziale Isolation, Jobverluste und ein Klima der Unsicherheit. In der Corona-Pandemie ist vieles von dem weggebrochen, was vorher das Leben ausmachte. Kein Wunder also, dass die NAKO-Gesundheitsstudie eine Zunahme von Depressionen beobachtet. Insbesondere bei jungen Frauen. Zudem zeigte jüngst eine weitere Studie der Donau-Uni Krems, dass die Hälfte der österreichischen Studierenden Symptome einer Depression aufweisen. Zwar ist das Thema im Zuge der Pandemie zunehmend in den Fokus gerückt, doch verzeichnete die WHO schon vorher einen bedenkenswerten Zuwachs an depressiven Erkrankungen. Die Krise scheint somit als Katalysator einer größeren Tendenz zu dienen. In eklatantem Widerspruch zu ihrem Charakter als „Volkskrankheit“ steht indes der weitestgehend individualisierte Umgang mit Depressionen.

Wie eng die Krankheit des Einzelnen tatsächlich jedoch mit der Gesellschaft verwoben ist, hat der Alain Ehrenberg bereits in seinem 1999 veröffentlichten Werk Das erschöpfte Selbst gezeigt. Der französische Soziologe zeichnet hier historisch nach, wie die Neurose im ausgehenden 20. Jahrhundert von der Depression abgelöst wird. Wo das Individuum zuvor in seinem Befreiungsversuch aus sozialen Zwängen neurotisch geworden ist, da erkrankt es heute an seiner Freiheit. Es scheint, als ob ihm alle Möglichkeiten offenstünden. Abgelegt ist die alte Zwangsjacke aus streng bürgerlichen Verhaltensnormen und unveränderbaren Hierarchiestrukturen. Doch hinter der Fassade der Freiheit versteckt sich eine subtilere und dadurch weitaus effektivere Kontrolle. Der Philosoph Michel Foucault hat es treffend analysiert: Die äußere Disziplinierung des Individuums verwandelte sich in der Moderne in eine Form der Selbstregierung, die der Einzelne gar nicht als solche wahrnimmt. Das neoliberale Subjekt ist ein Meister darin geworden, seine Selbstverwirklichung in Leistungssteigerung zu suchen. Gestalterisch schöpft es aus sich heraus, um aktiv, kreativ und produktiv zu sein. Doch schlägt der Drang zum Schöpfen schnell in Erschöpfung um. Zurück bleibt ein depressives Selbst.

 

Im neoliberalen Schraubstock

 

Allerdings ist nicht jeder dem Erschöpfungsrisiko gleichermaßen ausgesetzt. Die moderne Gesellschaft birgt einen konstitutiven Widerspruch in sich. Sie verspricht, dass jeder die Freiheit hat, alles aus sich zu machen – und erwartet auch, dass sie genutzt wird. Doch gleichzeitig sind die notwendigen Chancen dafür sehr ungleich verteilt. Dort, wo die Erwartung, aus sich selbst heraus alles zu erreichen, auf strukturelle Hindernisse stößt, da erschöpfen sich bestimmte Körper mehr als andere an der Sisyphosaufgabe, den Widerspruch zu überwinden. Die Daten sprechen eine klare Sprache, wenn Frauen doppelt so häufig wie Männer an einer Depression erkranken und auch sozioökonomisch Benachteiligte ein erhöhtes Risiko aufweisen. Sie erschöpfen sich letztlich auf dreifache Weise: am Erwartungsdruck des Erfolges, an den strukturellen Hindernissen, ihm gerecht zu werden, und zu guter Letzt an der angeblich eigenen Schuld für die Misere.

Das selbstverantwortliche Subjekt internalisiert den sozialen Widerspruch als eigenes Versagen. Oder um es im neoliberalen Vokabular auf den Punkt zu bringen: Depressionen sind die outgesourcten Transaktionskosten der neoliberalen Ordnung, die vor allem benachteiligte Gruppen zahlen müssen. Wenn eine Frau neben Vollzeitjob, Haushalt und Kindern nicht ebenso viel Energie wie der männliche Kollege findet, um sich einzubringen, dann firmiert das oft als ihre eigene Schuld. Sie hätte sich ja anders entscheiden können. Wer neben dem Studium noch arbeitet, wird keine gering- oder unentlohnten Praktika machen, die in vielen Berufsbereichen unabdingbare Voraussetzung geworden sind. Pech gehabt.

Es ist kein Wunder, dass der Schraubstock dieses Widerspruchs sich während der Corona-Pandemie fester gedreht hat. Während einige aufgrund von materieller Absicherung, stabilen Alltagsstrukturen und der unsichtbaren Unterstützung anderer die Krise gut gemeistert haben – ja gar zur Entwicklung exquisiter, neuer Ideen nutzten, sind andere verzweifelt. Es waren vor allem Frauen, die den Wegfall von öffentlichen Bildungs- und Sorgeangeboten aufgefangen haben. Es waren prekär beschäftigte Pflegekräfte, die die körperlich und emotional aufreibende Arbeit auf den Intensivstationen geleistet haben.

 

Ein Subjekt der Unmöglichkeit

 

Klassischerweise lautet die Antwort auf eine Depression nun: Psychotherapie oder medikamentöse Behandlung. Erfreulicherweise hat das Thema der mentalen Gesundheit zudem in den letzten Jahren öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Vor allem unter jungen Gebildeten und auf Social Media: Erfahrungen werden geteilt und Tabus gebrochen. Es ist viel normaler geworden, sich Hilfe zu suchen und offen über die eigenen psychischen Probleme zu sprechen. Es wird angeraten, auch prophylaktisch, „Self-Care“ zu betreiben. Überall stößt man auf Ratschläge, in sich hineinzuhorchen, Momente des Genießens zu schaffen oder genügend Sport zu betreiben. Mit der Soziologin Eva Illouz kann man gar von einem generalisierten „therapeutischen Diskurs“ reden. Sein Ziel ist die offensive Bekämpfung psychischer Probleme durch Vorsorge und Offenheit.

Allerdings wohnt ihm eine tragische Dialektik inne. Mentale Gesundheit wird zu einer weiteren Aufgabe des obligatorischen Erfolges neoliberaler Subjekte. So rutscht die mentale Selbstbeobachtung schnell in mentale Selbstoptimierung ab. Jede Konzentrationsschwäche, jede melancholische Trübsal oder jede Faulheit gerät durch diese Brille zur pathologischen Abweichung. Das zu erstrebende Idealbild stellt das durchweg glückliche, energiegeladene Subjekt dar. Nur ist dieses Subjekt eines der Unmöglichkeit – es ist nicht lebbar. Solch ein therapeutischer Diskurs arbeitet also letztlich nicht gegen die Depression, sondern füttert die erschöpfenden Erwartungen, die ihr zugrunde liegen. War bereits die Optimierung des Arbeitslebens zehrend, so gerät mit der Gesundheit ein neuer Bereich des Lebens unter Leistungsdruck.

Selbstverständlich sind Selbstsorge, Psychotherapie und in einigen Fällen medikamentöse Behandlung von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. Aber wenn eine Gesellschaft die Einzelnen mit der Bewältigung einer Krankheit alleinlässt, die sich erwartbar aus ihren Subjektbildern und strukturellen Ungerechtigkeiten ableiten lässt, wird Verantwortung systematisch abgeschoben. Die Antwort auf ein Folgeproblem der Individualisierung kann nicht in gesteigerter Individualisierung liegen. Vielmehr sollte begonnen werden, die Depression in ihren strukturellen Entstehungskontext zurückzuführen und als kollektives Problem zu begreifen. Das würde bedeuten, sich mit prekären Arbeitsverhältnissen oder überfordernden Erwartungen zu befassen. Die gehören in die Streitarena des Politischen und nicht nur auf die Therapiecouch oder in die nächtlichen Grübeleien im eigenen Bett. •

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