Eva Illouz: „Die Idee der Liebe ist im Niedergang begriffen"
Die Soziologin Eva Illouz, die Liebe in Zeiten des Kapitalismus zu ihrem Lebensthema gemacht hat, feiert heute ihren 61. Geburtstag. Hellsichtig analysiert sie in diesem Interview aus dem Jahr 2019, wie sich Ökonomie und Romantik verbinden – und mit welchen Folgen.
Die Bücher von Eva Illouz bergen eine tiefe Tröstung. Weit entfernt davon, den Individuen das Scheitern ihrer Liebesbeziehungen in die Schuhe zu schieben, untersucht die Soziologin unsere Gefühlswelt vor dem Hintergrund ihrer kapitalistischen Ökonomisierung. Vor kurzem ist ihr Buch Warum Liebe endet auf Deutsch erschienen. Ein Werk, in dem sie das weibliche und männliche Begehren in Zeiten von Tinder in den Blick nimmt. Ihre These: War die Liebe die längste Zeit identitätsstiftend für das moderne Subjekt, ist sie nun im Schwinden begriffen. Geboren in einer jüdischen Familie in Marokko, kommt Illouz im Alter von zehn Jahren in die Pariser Banlieue, besucht das Gymnasium, studiert und promoviert in Soziologie in Pennsylvania. 1991 lässt sie sich in Jerusalem nieder, wird zu einer der wichtigsten linken Intellektuellen Israels, lehrt unter anderem in Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten. Wenn auch Französisch ihre Muttersprache ist, denkt sie in Englisch und schimpft mit ihren Kindern auf Hebräisch. Wir haben sie eines Sonntagmorgens in Paris am Ufer des Kanals Saint-Martin getroffen.
Seit Beginn Ihrer soziologischen Forschung in den 1980er-Jahren haben Sie sich für das Gefühl des Verliebtseins interessiert. Wie haben Sie zu diesem Thema gefunden?
Forschungsthemen resultieren aus einer Folge von Zufällen, für die man im Nachhinein eine theoretische Rechtfertigung findet. Doch im Laufe des Lebens begreift man oft, dass diese Zufälle durch das determiniert werden, was an sich problematisch ist. Ich habe sehr früh die Eingebung gehabt, ohne sie wirklich theoretisch zu untermauern, dass erstens Liebe und Konsumgesellschaft miteinander verbunden waren und zweitens die Position der Frauen in der Liebesbeziehung nicht „funktionierte“.
Die feministische Theorie, die damals schon auf dem Vormarsch war, hat Sie allerdings weniger interessiert …
Das Leben hat mich zur Feministin gemacht, nicht die Theorie. Als ich in die Vereinigten Staaten kam, war ich politisch zu sehr universalistisch eingestellt, um zu verstehen, warum die Frauen ein eigenes Emanzipationsprojekt nötig hatten. Ich war noch ganz vom revolutionären Charakter des Universalismus eingenommen. Doch ich bin so oft und auf so vielerlei Weise auf männliches Herrschaftsstreben gestoßen, dass der Feminismus für mich zu einer Notwendigkeit wurde, um meine Erfahrung zu verstehen. Heute bilden seine Ansätze einen Teil meines Werkzeugkastens.
Wobei Ihr Fokus dann auf der Erforschung von Emotionen lag.
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