Philosophen im Widerstand
Die Dokureihe Die Résistance macht deutlich, dass politischer Widerstand gegen die Nazis in Frankreich maßgeblich von mutigen Männern und Frauen ausging – aber auch Philosophen eine Rolle spielten.
Wer an politischen Widerstand im Frankreich des Zweiten Weltkriegs denkt, hat vielleicht Bilder gekappter Telefonleitungen, sabotierter Zugschienen, von Flugblättern und Sprengstoff vor dem inneren Auge. Und selbstverständlich gehörte auch all das tatsächlich zum Freiheitskampf. Die Wucht der Dokureihe Die Résistance allerdings, die aktuell in der Arte-Mediathek kostenfrei abgerufen werden kann, liegt darin, dass sie neben diesem praktischen Aspekt des Widerstands noch eine weitere Ebene illustriert. Der französische Autor und Drehbuchautor Patrick Rotman stellt in plastischen Porträts neben Dutzenden mutigen Frauen und Männern der Tat nämlich auch Philosophen wie Jean Cavaillès oder Georges Canguilhem vor. Auch erfahren wir Interessantes über das Engagement der Denkerin und Mystikerin Simone Weil. Sie alle haben ihre Landsleute zwar auch als Maquisards und Saboteure unterstützt, der Bewegung aber vor allem eine gedankliche Tiefe verliehen, die diese widerständiger machte. Philosoph und Widerstandskämpfer statt Philosoph oder Widerstandskämpfer. Diese Zuschreibung trifft auf einige mutige Figuren der Ideengeschichte zu, an die diese Serie erinnert.
Besonders interessant ist dabei die Sequenz zu Jean Cavaillès, den Charles de Gaulle in seinen Memoiren wie folgt charakterisierte: „Cavaillès, ein Philosoph, den seine Natur zur Vorsicht veranlasst hat, den aber sein Hass auf die Unterdrückung zur stärksten Kühnheit trieb.“ Jean Cavaillès hinterließ nicht nur ein umfangreiches philosophisches und mathematisches Werk, sondern verkörperte als Mitglied der Résistance der ersten Stunde auch den prototypischen Philosophen im Widerstand. So war er in der Lage, alles gleichzeitig zu tun – Vorlesung vorbereiten, Texte verfassen, Mitstreiter anwerben, Sabotagen durchführen, neue Chiffriersysteme entwickeln –, und bewies dadurch, dass Denken und Handeln sehr nah beieinanderliegen können. „In der Hartnäckigkeit von Cavaillès liegt etwas Erschreckendes“, schrieb sein Verbündeter Georges Canguilhem über ihn. „Er ist ein mit Sprengstoff vollgepumpter philosophischer Mathematiker, ein waghalsiger Klardenker, ein Entschlossener ohne Optimismus. Wenn das kein Held ist, was ist dann ein Held?“
Ein absolutes Eintreten für die Freiheit prägte auch die Existenz Simone Weils. Gleich zu Beginn des Krieges entwickelte sie den Plan eines Sonderverbands französischer Frontkrankenschwestern, die nur an den gefährlichsten Orten eingesetzt werden sollten, um direkt in der Schlacht Erste Hilfe zu leisten. Nachdem sie 1940 nach Marseille fliehen musste, weshalb aus diesem Vorhaben nichts wurde, nahm sie zunächst dort an Widerstandsaktionen teil, bevor sie Anfang 1943 von London aus die Bewegung „Freies Frankreich“ unterstützte. Und das obwohl sie intensiv an ihrem Buch Die Verwurzelung arbeitete, das ihr Hauptwerk werden sollte.
Trotz der spürbaren Bewunderung des Regisseurs für diese beiden sowie zahlreiche andere im Laufe der vierteiligen Reihe vorgestellten intellektuellen Freiheitskämpfer gelingt es Patrick Rotman, diese nicht zu idealisieren und sie in der Wichtigkeit nie über ihre Kameraden zu stellen. Der eigentliche Protagonist der Reihe bleibt das Streben nach Freiheit, das durch die unterschiedlichsten Persönlichkeiten hier so anschaulich präsent wird, wie es nur selten der Fall ist. Eine unbedingt sehenswerte Produktion. •
„Widerstand – Die Résistance“, Regie: Patrick Rotman, bis 30.10.2023 in der Arte-Mediathek