Silicon Monarchy
Der Software-Entwickler und Blogger Curtis Yarvin will die USA in eine Monarchie verwandeln, die wie ein Startup geführt wird. Sein Schüler J. D. Vance könnte bald als Vizepräsident ins Weiße Haus einziehen.
Politisches Denken hat etwas Zynisches. Es floriert, wenn die Ordnung welk wird, lebt von zerbrochenen Gewissheiten, Unsicherheit und Zweifel. Plötzlich steht alles infrage und Entwürfe, die bislang Argwohn, ein müdes Lächeln oder Kopfschütteln hervorgerufen haben, finden nun Gehör. Dies sehen wir etwa am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das um 1800 in den Nachwirren der Französischen Revolution zusammenbrach und den Deutschen Idealismus hervorbrachte. Umgekehrt bedeutete, wie Nietzsche schrieb, die Gründung des Deutschen Reiches 1871 eine „Exstirpation des deutschen Geistes“. Dieser nahm erst wieder Fahrt auf, als der Staat im Weltkrieg zusammenstürzte und die notorisch instabile Weimarer Republik eine Explosion des Denkens bewirkte, die Heidegger und Lukács, Arendt, Schmitt, Strauss und die Kritische Theorie hervorbrachte.
So ist es kein Wunder, dass die USA gerade ein aufregendes Pflaster für politische Denkversuche sind – von Liberalen, Linken und Rechten. Seit Donald Trump die Ordnung infragestellt, schlittert das Land auf einen Bürgerkrieg zu, der seine Schatten vorauswirft in Gestalt einer offenen Systemfrage. Im Unterschied zu seiner ersten Amtszeit hat Trump die Republikanische Partei hinter sich gebracht und sich mit Intellektuellen umgeben, die ein Programm erkennen lassen. Vor allem die Ernennung von J. D. Vance zum Running Mate regt die Fantasie vieler Beobachter an: Kann es sein, dass im Zentrum der demokratischen Welt eine antidemokratische Revolution stattfindet und die Geschichte in eine andere Richtung stupst? Ein neues, umgekehrtes 1789?
Ex-Libertärer Konvertit
Dabei fällt immer wieder ein Name aus dem Umfeld von Vance: Curtis Yarvin, ein Silicon-Valley-Programmierer, der 2007 eine zweite Karriere als autodidaktischer Politphilosoph einschlug und zum Vordenker der „neoreaktionären Bewegung“ wurde. Yarvin, der zunächst unter dem Pseudonym „Mencius Moldbug“ bloggte, ist die Hauptinspiration der „dunklen Aufklärung“ des nach rechts abgedrifteten britischen Akzelerationisten Nick Land. Akzelerationisten hoffen auf eine Revolution durch die Beschleunigung aller Lebensverhältnisse. Yarvin gilt auch als Hausphilosoph von Peter Thiel, der zusammen mit Elon Musk für eine rechtslibertäre Wende des Silicon Valleys steht und Politiker wie Blake Masters, Vance und Trump unterstützt.
Yarvin bezeichnet sich selbst als geläuterten Libertären, der durch die Lektüre des nach rechts konvertierten Habermas-Schülers Hans-Hermann Hoppe zum Demokratiekritiker wurde und seither als „Monarchist“ durch die Blogger- und Podcast-Szene geistert – zunächst als Kuriosum, inzwischen jedoch als, wie manche sagen, einer der „größten politischen Denker“ der Gegenwart. Tatsächlich haben seine Gedanken etwas Suggestives, Elektrisierendes, das sich von akademischer Konfektionsware wohltuend unterscheidet. Vorgetragen in einer schnittigen Pop-Sprache, garniert mit zahlreichen Subkultur-Referenzen, recht guten Witzen sowie überraschenden historischen Vergleichen, gelangt Yarvin zu erstaunlichen Thesen, Formeln und Begriffen.
„Red Pill“ und „Cathedral“
Bekannt wurde er 2007 mit der „Red-Pill“-Metapher, die er den Matrix-Filmen entnommen hatte. Sie steht für die Wahl zwischen einer „Blue Pill“, die angenehme Illusionen erzeugt, und einer „Red Pill“, deren Einnahme zu der Erkenntnis führt, dass die Welt von finsteren Gestalten beherrscht wird, die uns Freiheit vorgaukeln, während wir in Ketten liegen. Der Begriff machte später in Incel-Kreisen Karriere, wo man sicher war, das Patriarchat gebe es nicht und in Wahrheit herrschten die Frauen. Bei Yarvin meint die rote Pille etwas anderes, nämlich die Einsicht, dass die USA keine Demokratie sind, sondern eine Oligarchie: Der aufgeblähte Staat befindet sich in den Händen gieriger Bürokraten, denen es egal ist, wer unter ihnen Präsident ist. Die politischen Kanäle sind verstopft, einen Machtwechsel kann es nicht geben. Selbst die Kontrollorgane dienen dem „Deep State“ und verschaffen ihm Legitimität. Medien, Universitäten, Aktivisten und das „Uniparty“-System aus Demokraten und Republikanern verschmelzen zu einem gigantischen Machtkomplex, an dem man sich die Zähne ausbeißt.
Wie von Geisterhand produzieren sie ähnliche Meinungen und lassen Abweichungen nicht zu. Yarvin – und das ist der zweite Begriff, mit dem er berühmt wurde – nennt das „The Cathedral“, eine progressive Glaubensallianz, die von Beteiligungsmöglichkeiten spricht, wo alles vermachtet ist, Zukunftshoffnungen evoziert, während sich nichts ändert – ähnlich der religiösen Vertröstung aufs Jenseits. Im Diesseits gehen die Dinge derweil vor die Hunde. Der Staat kontrolliert die Gesellschaft, zerstört das Vergnügen, erdrückt die Wirtschaft und missbraucht die Wissenschaft für sein unendliches Wachstum. Er verfettet und handelt unvernünftig, sucht sich Betätigungsfelder, die er im Innern kaum noch findet, weshalb er sich nach außen wendet und den US-Imperialismus begründet. So führt Yarvin das Engagement der USA im Ukraine-Krieg unter anderem darauf zurück, dass der überstürzte Rückzug aus Afghanistan wenige Monate zuvor tausende Beamte im State Department beschäftigungslos gemacht hatte. Für sie brauchte man eine neue Aufgabe.
Vorbild Napoleon
Bis hierhin gibt es Überschneidungen mit linken Krisendiagnosen, die ebenfalls Beschädigungen der Demokratie durch eine oligarchische Kaste beklagen – wenn auch nicht durch Kulturmarxisten, sondern durch Milliardäre, was zu anderen Schlussfolgerungen führt. Während Linke eine Einlösung des demokratischen Gleichheitsversprechens verlangen, hält Yarvin dies für eine Illusion. Erstens weil der „Deep State“ so mächtig ist, dass ihm Wahlen nicht viel anhaben können. Zweitens weil Demokratie eine Ausnahme ist. Sie blitzt lediglich in jenen glorreichen Momenten politischer Neugründung auf, in denen sich alle am Gemeinwohl beteiligen. Im Normalfall jedoch streben Menschen nach Macht und Eigennutz. Sie lassen jene „Tugenden“ vermissen, ohne die Herrschaft zum Gang in den Selbstbedienungsladen degeneriert.
Es reicht auch nicht, dass die Mehrheit tugendhaft ist. Schon wenige Untugendhafte können das Klima verseuchen und sich den Staat unter den Nagel reißen. Sie sorgen dafür, dass fast alle Demokratien in Wahrheit Oligarchien sind. Viel wahrscheinlicher ist es, einen einzigen Tugendhaften zu finden, der den Staat als sein Eigentum übertragen bekommt und ihn deshalb nach Kräften pflegt. Yarvin – und dies ist die dritte Idee, für die er bekannt ist – plädiert für einen Monarchen, der mit absoluter Herrschaftsgewalt ausgestattet ist. Dabei denkt er nicht an den King oder die Queen of England, die er für „gekrönte Kardashians“ hält. Ihm schwebt eher Elizabeth I. als Elizabeth II. vor. Besser noch: Caesar oder Napoleon, den er als „Startup Guy“ bewundert und dem er auch im Silicon Valley beste Erfolgsaussichten bescheinigt, während gewöhnliche Oligarchen untergehen, sobald sie in ein meritokratisches Umfeld geraten.
Der Staat als Startup
Yarvins Monarch soll das Land führen wie ein CEO sein Unternehmen. Ideal wäre eine 20-Jahre jüngere Version von Elon Musk, doch im Grunde hält er jeden Fortune-500-CEO für geeignet. Alles Gute, betont er, ist ohnehin von Monarchien geschaffen, zum Beispiel Smartphones oder Dienstleistungen, denn jedes Unternehmen wird von oben nach unten geführt. Produziert wird größtenteils in der Monarchie China, die als Werkbank der Welt zur Supermacht aufgestiegen ist. Den USA ist das auch einmal gelungen, als sie unter dem Quasi-Monarchen Franklin D. Roosevelt einen Weltkrieg gewonnen und die Weltwirtschaft dominiert haben. Roosevelt hat die „Checks and Balances“ ausgehebelt, die Macht im Weißen Haus konzentriert und als einziger Präsident mehr als zwei Amtszeiten bekommen. Sein „New Deal“ hat das gesamte Land elektrifiziert. Er ließ Regierungsbehörden wie Startups führen. Und das Manhattan Project, das zur Entwicklung der Atombombe führte, ist für Yarvin eines der erfolgreichsten Wissenschaftsprojekte aller Zeiten. Heute sind die Apparate übriggeblieben, aber der Geist ist aus ihnen verschwunden. Als degenerierte Oligarchiegefäße suchen sie sich neue Aufgaben, treiben in der Regel aber nur Unfug. Mit ähnlichen Problemen hatte sich bereits 75 Jahre vor Roosevelt Abraham Lincoln herumgeschlagen, bis er die USA als De-Facto-Monarch zusammenführte. Ohne Zustimmung des Kongresses ließ er Truppen für einen Krieg gegen die abtrünnigen Südstaaten ausheben, Spione verhaften und die Presse zensieren. Wiederum 75 Jahre zuvor hatte das Duo George Washington als Repräsentant und Alexander Hamilton als CEO die USA aufs richtige Gleis gesetzt, nachdem sie den ersten kalten Bürgerkrieg, der zwischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und Verfassungsgebung 1789 tobte, durch einen monarchischen Coup beendet hatten, der dem Präsidenten weitreichende Entscheidungsbefugnisse einräumte. Etwas ähnliches schwebt Yarvin nun erneut vor. Die US-Verfassung brauche alle 75 Jahre eine monarchische Auffrischung, um die oligarchische Degenerierung zu beenden, die stets auf einen Bürgerkrieg zuläuft.
Den Bürgerkrieg beenden
Yarvin zieht einen Vergleich mit der Römischen Republik, die jahrhundertelang von einem Klassenkrieg zwischen Optimaten und Popularen zerrissen war. Dann kam Caesar und beendet den Konflikt, nicht weil er sich auf eine Seite schlug, sondern weil er über den Parteien thronte und ihnen die Waffen aus der Hand nahm. Vollumfänglich gelang dies erst seinem Neffen Octavian, der als Kaiser Augustus den Frieden herstellte, indem er die Republik abschaffte. Die Parallele mit den USA liegt auf der Hand: Die Optimaten sind heute die Demokraten, „blaue“ Ivy-League-Aristokraten, während Trumps „rote“ Republikaner als Wiedergänger der Popularen auftreten, als Stimme des einfachen Volkes vom Lande, das die liberal-urbanen Milieus hasst wie die Pest.
Hier gibt es einen Unterschied zwischen Yarvin und Trump, der den Bürgerkrieg anheizt, während Yarvin ihn beenden will. Er hält die Eindämmung von Gewalt – und klingt dabei wie Thomas Hobbes – für das Grundproblem jeder Gesellschaft. Ordnung ist das Ziel, Chaos ein Übel. Dafür wird er von europäischen Rechten kritisiert, die das Chaos herbeiführen wollen. Hier zeigt sich, warum Yarvin kein Faschist ist: Der Faschist will kämpfen, Yarvin nicht, er will Stabilität, damit das Eigentum geschützt ist, die Geschäfte florieren und sich alles zu einem schönen, störungsfreien Bau zusammenfügt. Zwar hält er Trump für einen wichtigen Protestler gegen den Deep State, aber mehr auch nicht. Reiner Trumpismus wäre ein „Rückfall in die Vergangenheit, kein Vorzeichen der Zukunft“. In dieser müsste ein vernünftiger Monarch die Geschicke des Landes lenken, und im Zweifelsfall wäre ihm, wie Yarvin in einem Podcast einräumt, ein „Blue Caesar“ lieber, weil ein „Red Caesar“ vom Ressentiment der Menge lebt, die ihn an die Macht spült.
Der Monarch als Tyrann
Damit hat er selbst die größte Schwachstelle seines Modells angesprochen: Die Unzuverlässigkeit des Monarchen. Bei seiner aristotelischen Herrschaftstypenlehre hat Yarvin nämlich ein bisschen geschummelt und lediglich drei genannt, obwohl es sechs gibt: Es kann einer herrschen, dann ist es eine „Monarchie“, wenige, dann ist es eine „Aristokratie“, oder viele, dann ist es eine „Politie“. Von diesen guten, gemeinwohlorientierten Formen gibt es schlechte, selbstsüchtige Abweichungen: „Tyrannei“, „Oligarchie“ und „Demokratie“. Yarvin hat die Tyrannei verschwiegen oder, wie im Falle Hitlers, auf demokratische Anteile zurückgeführt – schließlich wurde Hitler gewählt. Allerdings kommen tyrannische Entartungen häufiger vor als Yarvin lieb ist, und im 20. Jahrhundert bildeten blutrünstige Tyrannen die Regel. Jedoch nur, so Yarvin, weil sie sich ihrer Position unsicher waren und einen Putsch befürchten mussten – ohne Berücksichtigung der Mehrheitsmeinung konnten sie nicht herrschen. Dafür war technologisch, ökonomisch und soziologisch zu viel passiert. Seither ist der Beteiligungsdurst eher noch gewachsen. Er untergräbt die Position des Monarchen, der darüber leicht zum Tyrannen wird.
Außerdem ist die Vernunft eines Staats-CEOs keineswegs ausgemacht. Die Vorbilder, die Yarvin anführt – Caesar, Napoleon und Friedrich der Große – waren Eroberer. Sie führten jene Kriege, die Yarvin beenden will. Vielleicht weil sie als dynamische CEOs auf Expansion setzten? Was im wirtschaftlichen Bereich als Markterschließung daherkommt, verwandelt sich politisch schnell in einen Annexionskrieg. Denn ein Staats-CEO verfügt über ganz andere Mittel. Warum sollte er sie nicht nutzen? Außerdem gehen Unternehmens-CEOs vielleicht nur deshalb einigermaßen vernünftig mit ihren Mitarbeitern um, weil sie keine absolute Gewalt über sie besitzen. Als Vertragspartner verfügen sie lediglich für einige Stunden über ihre Arbeitskraft, nicht über Leib und Leben, was ein Staats-CEO könnte. So viel Macht korrumpiert, wie Yarvin an anderer Stelle selbst betont. Sie verführt noch den edelsten Monarchen zum Missbrauch – vor allem in Kombination mit langfristiger Positionsunsicherheit ist kurzfristige Übermacht toxisch.
Oligarchen in Aristokraten verwandeln
Und schließlich ist fraglich, ob das Silicon-Valley-Mindset wirklich so verschieden ist von jenem der Bürokraten, die Yarvin loswerden will. Sein Referenzautor James Burnham war sich da nicht so sicher. Er sah 1941 ein „Regime der Manager“ heraufziehen: Verwaltung und Wirtschaft verschmelzen zu einem großen Komplex, einer „Cathedral“ könnte man sagen. Beide werden immer ähnlicher und schließlich ununterscheidbar. Möglicherweise liegt das daran, dass der Deep State kein Erzeugnis einzelner Politiker ist, sondern der Moderne, in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu einem Dickicht verwachsen, das niemand durchdringen kann. Auch abholzen wäre gefährlich, weil dies zum Kollaps des gesellschaftlichen Ökosystems führt. So bleibt nur die Herrschaft der Förster – der „Beamten“, wie Max Weber vor 100 Jahren prognostiziert hat, die aber eigentlich nicht herrschen, sondern Sachen verwalten. Jeder Versuch, etwas daran zu ändern, führt tiefer ins Dickicht hinein. Die US-Monarchen Washington, Lincoln und Roosevelt haben Apparate geschaffen, die fortleben, wuchern und die Gesellschaft integraler gestalteten.
Vielleicht besteht darin die eigentliche Funktion der starken Monarchen: Ihre Bepflanzungsaktionen vermehren die Bestände des Waldes, an die sich mit gutem Grund niemand herantraut. Bürokratien sind organisch gewachsene Gebilde und mit der Gesellschaft so eng verbunden, dass eine Trennung unmöglich ist. Wer den Staat zerstört, zerstört die Gesellschaft. In diesem Punkt unterscheiden sich Konservative wie Francis Fukuyama, der den „Deep State“ verteidigt, von „Neo-Reaktionären“, die ihn zertrümmern wollen. Dennoch haben auch sie ein Reformanliegen: Wichtig ist es, die Oligarchie in eine wohlgeordnete Aristokratie zu überführen, eine Herrschaft der Besten, nicht der Gutpositionierten, so wie es Roosevelt tat, als er seinen New Deal mit Ivy-League-Absolventen umsetzte. Ist dies geschafft, empfiehlt es sich, seine „Blue Pill“ zu schlucken und sich mit begrenzten politischen Handlungsräumen zu arrangieren. •