Kann man die Frage nach dem Sinn des Lebens ernst nehmen, Anton Leist?
Im August erscheint Anton Leists Buch Lebensdinge. Alltagsphilosophische Zugänge (Meiner Verlag). Bis dahin veröffentlichen wir vorab alle zwei Wochen einen Essay aus dem Buch zu einer alltäglichen Frage mit philosophischer Tiefe.
Kurze Antwort: ja, indem man an Zwiebeln riecht.
Lange Antwort: Es ist nicht klar, ob es überhaupt jemanden gibt, der sich für die Frage nach ‚Lebenssinn‘ im Allgemeinen interessiert, abgesehen von manchen Philosophen. Sicher, man kann über den Lebenssinn nachdenken, wenn die Tage langweilig und öde sind. Aber eigentlich interessiert man sich doch dafür, warum gerade diese Tage langweilig und öde sind. Vielleicht stößt man auf die Frage, wenn man vor einer gefährlichen oder folgenreichen Entscheidung steht. Aber auch dann flirrt die allgemeine Frage, wenn überhaupt, eher am Rand dessen, was einen eigentlich bewegt: das Risiko, die Folgen, die Alternativen, die Vorgeschichte. Wie bin ich eigentlich hier hineingekommen, und was mache ich jetzt? Auf keinen Fall ist es generell sinnlos, sich in Gefahr zu begeben, wie es auch nicht schon sinnlos ist, Langeweile zu kennen, ja in Langeweile zu schwelgen. Kurzum, die Frage nach dem Lebenssinn ist ein eigenartiges Tier unter den vielen Dingen, die uns so bewegen. Sie spricht sich leicht aus, aber ist sie sinnvoll?
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Das Ideal der Intensität
Man kennt es aus Filmen und Romanen: Die Frage nach dem Lohn des Lebens stellt sich typischerweise erst im Rückblick. Als Abrechnung mit sich selbst und der Welt. Wenn das Dasein noch mal vor dem inneren Auge vorbeifliegt, wird biografisch Bilanz gezogen: Hat es sich gelohnt? War es das wert? Würde man alles wieder so machen? Dabei läge es viel näher, die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, nicht so lange aufzuschieben, bis es zu spät ist, sondern sie zum Gradmesser von Gegenwart und Zukunft zu machen. Zum einen, weil sie so gegen spätere Reuegefühle imprägniert. Wer sich darüber im Klaren ist, was das Leben wirklich lebenswert macht, wird gegenüber dem melancholischen Konjunktiv des „Hätte ich mal …“ zumindest ein wenig wetterfest. Zum anderen ist die Frage als solche viel dringlicher geworden: In dem Maße, wie traditionelle Bindungssysteme an Einfluss verloren haben, also etwa die Bedeutung von Religion, Nation und Familie geschwunden ist, hat sich der persönliche Sinndruck enorm erhöht. Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen, ja, die Mühen des Lebens überhaupt auf sich zu nehmen? Was genau ist es, das einem auch in schwierigen Zeiten Halt verleiht? Und am Ende wirklich zählt – gezählt haben wird?
Antonio Negri: „Der Klassenkampf ist kein Spaziergang“
Am Wochenende ist Antonio Negri gestorben, der als einer der einflussreichsten Denker der Gegenwart galt. Für sein politisches Engagement verbrachte der Kommunist mehrere Jahre in Haft. 2018 sprachen wir mit ihm über marxsche Begriffe im 21. Jahrhundert und seinen Traum von einer Welt der Unternehmer.

Und woran zweifelst du?
Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
Braucht mein Leben ein Ziel?
Und, wie lautet Ihr Ziel im Leben? Sie haben doch eins, oder? Kaum ein Mensch, der sich dem Druck dieser Frage entziehen könnte. Sie trifft das Zentrum unserer Existenz, legt tiefste Wünsche und Hoffnungen frei – und nicht zuletzt auch Ängste. Was, wenn ich mein Ziel nicht erreiche? Was, wenn ich mein Ziel noch gar nicht kenne? Und vor allem: Was, wenn es gerade selbst gesetzte Ziele wären, die mein Leben einengen und mich unglücklich machen? In der Frage nach dem Lebensziel prallen zwei menschliche Sehnsüchte aufeinander. Die nach einem tätigen Leben in dauerhaft sinnvoller und zielgerichteter Selbstbestimmung. Und die nach einer tief entspannten Existenz in lustvoller Gelassenheit. Wie sähe wohl ein Leben aus, dessen Ziel darin bestünde, beide Ideale miteinander zu vermitteln?
Kommentare
Wenn man nach dem Sinn des Lebens fragt, ist man schon auf der falschen Fährte. Denn dann meint man eigentlich nicht Sinn, sondern Zweck. Wenn etwas einen Grund, eine Aufgabe oder eine Funktion hat, nennt man dies Zweck. Sinn aber ist vielfältig, wenn etwas Sinn hat, dann sind das viele Verbindungen.
So hat ein Wasseranschlusses ein Hauses einen Zweck, nämlich es mit Wasser zu versorgen. Ein Baum aber hat keinen Wasseranschluss und hat trotzdem Wasser zum Wachsen und Gedeihen. Dafür hat er ein weit verzweigtes Wurzelwerk, das ihn mit der Erde verbindet, das Sammeln von Wasser ist nur eines seiner vielen Funktionen. Es lässt sich nicht auf einen Zweck reduzieren, aber es hat vielfältigen Sinn.
Das Leben hat keinen Zweck außerhalb des Lebens, es ist Selbstzweck. Aber es ist sinnvoll, auch wenn es zwecklos erscheint. Durch die Verbundenheit des individuellen Lebens mit dem Gesamtleben aller Lebewesen.