Der Einbruch des Politischen und die rechte Revolution
Der Thüringer Landtag zeigt: Wir befinden uns in einer rechten Revolution. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass unsere „Politik“ nun nach ganz anderen Regeln des „Politischen“ gespielt wird. Diese müssen die Demokrat:innen dringend lernen.
Die konstituierende Sitzung des 8. Thüringer Landtags war im wahrsten Sinne des Wortes ein politisches Ereignis – was sich auch daran zeigt, dass den Kommentator:innen „viele Fragezeichen“ über der „komplizierten Sachlage“ schwebten (phoenix vom 26.09.). Oberflächlich ging es in der Tat um eine solche „Sachlage“, nämlich die Konfrontation verschiedener „Rechtsauffassungen“, wie es in der Sitzung selbst mehrfach artikuliert wurde. Die AfD-Fraktion war der Ansicht, dass sie als stärkste Fraktion die einzige sei, die Kandidat:innen für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen darf. Die Geschäftsordnung des Landtages war in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig formuliert. Die anderen Fraktionen wollten dem beikommen, indem sie mit ihrer Mehrheit die Geschäftsordnung ändern. Wobei die AfD wiederum der Ansicht war, dass eine solche Änderung erst möglich wäre, nachdem der Landtag sich abschließend konstituiert hat – also nach der Wahl des Landtagspräsidenten. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof entschied zugunsten der Nicht-AfD-Fraktionen, was zur Wahl Thadäus Königs von der CDU zum Landtagspräsidenten führte. Tatsächlich aber erleben wir nicht die Konfrontation von Rechtsauffassungen, die durch diesen Beschluss nun behoben wäre, sondern einen weiteren Akt in einer rechten Revolution. Und dieser Unterschied hat enorme Konsequenzen dafür, wie eine demokratische Reaktion auszusehen hat.
„Formales Recht“ und „Geist“
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Kommentare
AfD und oder BSW werden meinem Verständnis der Dynamik nach weiter stärker werden, da Maßnahmen, sie durch Kopieren zu schwächen sie später als originell stärken, und Maßnahmen, sie auszugrenzen, sie später als unbelastet stärken.
Die Chance für die Demokratie, die ich sehe, ist Zweiparteienwahlrecht, dann müssen populistisch links und populistisch rechts sich mit moderat links und moderat rechts arrangieren und andersrum, was die Mitte vitalisiert und Unerträgliche Politik moderiert, da von beiden Seiten meist mehr als 50% angestrebt werden. Und weil eine Seite eher knapp regiert und die andere Seite scharf opponiert, auf dieser Ebene regiert Mitte-bis-links und auf jener Mitte-bis-rechts, regieren im Ergebnis links und rechts beide, nur eben mit hoher Transparenz und damit mit effektiver Kontrolle durch den Pöbel, was auf lange Sicht auch Politikern gut tut.
Ich danke für den Artikel und die Möglichkeit, mich zu wiederholen.