Die Pflanze als Vorbild
Von der Antike bis in die Moderne waren westliche Philosophen überzeugt: Die Pflanze ist das niederste Lebewesen, der Mensch muss jede Ähnlichkeit mit ihr vermeiden. Heute jedoch hat sich diese Vegetationsaversion in ihr Gegenteil verkehrt.
Lange Zeit war es für den westlichen Menschen sehr wichtig, keine Pflanze zu sein. Auf der Stufenleiter des Seins (scala naturae) platzierte er die Pflanzen ganz unten, nur knapp über den Steinen. Für Aristoteles etwa haben Pflanzen zwar eine Seele, aber nur in der schlichtesten Form der „Nährseele“, die Stoffwechsel, Wachstum und Fortpflanzung ermöglicht und damit die Minimalbedingungen des Lebens erfüllt. Der Mensch, der über diese Vermögen hinaus über Vernunft verfügt, befindet sich hingegen ganz oben auf der Leiter der Existenz, in beträchtlichem Abstand zur Vegetation. Für ihn gilt es, jede Pflanzenähnlichkeit zu vermeiden. Aristoteles zufolge heißt das vor allem, sich keine Fehler bei der Betätigung der Vernunft zu leisten, etwa durch widersprüchliche Überzeugungen, da sonst der ontologische Abstieg droht: „Nimmt einer aber überhaupt gar nichts an, sondern meint eben nur und meint auch ebenso gut nicht, wie unterschiede er sich denn dann von den Pflanzen?“
Furcht vor der Pflanzenähnlichkeit
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