Pflanzen
Sonderausgabe 25 - Sommer 2023Pflanzen sind essenziell für unser Überleben und Wohlbefinden. Dennoch behandelt der Mensch die Flora oft respektlos, rodet Wälder und modifiziert Arten. Und auch die Philosophie hat Pflanzen oft herabgewürdigt. Dabei wäre es wichtig, sich der Pflanzenwelt in ihrer Eigenlogik zu nähern. Nur so wird es möglich sie zu verstehen, zu schützen und eine achtsamere Beziehung zur Natur zu finden.
Mit Hartmut Rosa, Peter Wohlleben, Emanuele Coccia, Sumana Roy, Judith Schalansky, Michael Marder und vielen mehr
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1. Pflanzen verstehen
Bild: © Max Slobodda
Sie haben keine Augen, kommunizieren nicht über für uns wahrnehmbare Laute, fliehen nicht bei Gefahr. Bereits in der Antike galten Pflanzen als Mängelwesen, als niedere Lebensform, rangierten noch unter den Tieren – zum Maß aller Dinge wurde der Mensch erklärt. Doch was wissen wir wirklich über das Sein der Pflanzen? Um sich ihnen zu nähern, gilt es, ein enges Denken in vertrauten Kategorien von Analogie und Differenz zu überwinden und Begrifflichkeiten wie Intelligenz, Subjektivität und Bewegung neu zu fassen.
2. Pflanzen begegnen
Bild: © Yann Gross & Arguiñe Escandón
So vorläufig und lückenhaft unser Wissen über sie sein mag, so anhaltend und eindrücklich sind unsere Interaktionen mit ihnen. Pflanzen „sprechen“ mit uns, wenn auch ohne Worte: Da ist das sanfte Licht, das durch Baumkronen fällt, der Duft von Blüten oder feuchter Erde, der in die Nase steigt, ihre Säfte, die heilend wirken oder gar neue Bewusstseinszustände hervorrufen. Was aber braucht es, um Pflanzen nicht als Dinge, sondern als Gegenüber zu erfahren?
3. Pflanzen erträumen
Bild: © Kurt Bauer/Connected Archives
Mit den Techniken der Kultur holt der Mensch die Natur in seine Lebensräume. Bereits in der Romantik galt die Poesie als Mittel, die Pflanzenwelt und ihre magische Kraft erfahrbar zu machen. Und noch heute verdichten wir durch Literatur, Architektur und Riten den Interaktionsraum zwischen uns und der Natur. Droht dabei aber auch Ursprüngliches verloren zu gehen? Über Reiz und Risiko unserer Pflanzenkultur.
4. Pflanzen beherrschen
Bild: © Michael Dantas/Getty Images
„Macht euch die Erde untertan.“ Diesem göttlichen Auftrag ist der westliche Mensch nur zu gern gefolgt, besonders dann, wenn er als Legitimation für eine hemmungslose Ausbeutung von Flora und Fauna herhalten konnte. Doch die Kritik an diesem Herrschaftsmodell mehrt sich, besonders angesichts des Klimawandels. Was hieße es, ein anderes Mensch-Natur-Verhältnis einzugehen und eine neue Ethik zu formulieren?
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Alle Texte in der Übersicht
Intro
Die Resonanz der Wälder
Wir sind es gewohnt, die Natur zu verdinglichen. Für den Förster Peter Wohlleben und den Soziologen Hartmut Rosa sind Bäume jedoch mehr als nur Holz: Sie kommunizieren untereinander und können auch zu uns sprechen, wenn wir ihnen als Gegenüber begegnen. Aber wie? Sollten wir uns um sie sorgen – oder sie einfach in Ruhe lassen? Ein Gespräch über Unverfügbarkeit, Demut und die Notwendigkeit eines neuen Naturbegriffs.

Eine philosophische Pflanzenkunde
Blumen, Bäume, frische Früchte: Nicht selten in der Philosophiegeschichte sprießen die Gedanken gemeinsam mit den Pflanzen, die sie inspirieren. Ob verkostet, geraucht oder in tiefer Kontemplation begutachtet – die nachfolgenden Denkerinnen und Denker haben ihren floralen Gefährten viel zu verdanken.

Pflanzen verstehen
Emanuele Coccia: „Pflanzen führen ein Leben an der Grenze“
Ohne sie gäbe es keine Aufnahme von Sonnenenergie, keine Freisetzung von Sauerstoff, keine mineralische Vielfalt, kein Tierleben. Pflanzen, so erklärt der italienische Philosoph Emanuele Coccia, führen ein grenzüberschreitendes Dasein zwischen dem Organischen und dem Anorganischen, zwischen Sonne und Erde, zwischen Boden und Luft.

Grünes Wissen
Wahrnehmen, erinnern, lernen, antizipieren, wählen, vielleicht sogar leiden … Während Pflanzen lange Zeit als niedere, stumpfe Lebewesen eingestuft wurden, zeigen immer mehr Studien ihre erstaunlichen Fähigkeiten.

Der Fluch der Zuchtbanane
Die Selektion galt lange als bevorzugte Technik, um Ertrag und Schönheit zu optimieren. Wie andere Pflanzen auch wurde die Banane dadurch aber genetisch immer homogener – und angreifbarer. Deshalb setzt man in jüngster Zeit erneut auf Diversität und entdeckt jahrtausendealte Zuchttechniken wieder.

Florence Burgat: „Die Zeit der Pflanzen hat weder Anfang noch Ende“
Kann man wirklich von Pflanzen als intelligenten Wesen, gar von Subjekten sprechen? Die Philosophin Florence Burgat warnt vor der Tendenz, die Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich um jeden Preis aufzulösen. Im Interview zeigt sie, wie deren Lebensformen sich fundamental unterscheiden.

Pflanzen begegnen
Sumana Roy: „Alles um uns herum ist lebendig“
Wenngleich Menschen sich der Pflanzenwelt immer wieder überlegen wähnen, offenbart sich vielerorts auch eine tiefe Sehnsucht nach ihrer Nähe. Die Schriftstellerin Sumana Roy wünschte sich sogar, so zu leben wie ein Baum. Im Gespräch spricht sie über ihre Begegnungen mit der nichtmenschlichen Welt und ein Denken, das ohne Binaritäten auskommt.

Funktionale Flora
Pflanzen begegnen uns nicht nur als stille Gegenüber oder überwältigende Landschaften. Seit jeher erfahren wir sie auch sinnlich sowie mental und nutzen sie aktiv für unsere Zwecke. Wir stellen fünf Bereiche vor, in denen Blüten, Wurzeln und Blätter heimliche Helfer sind.

Den Wald betreten
Kaum ein Moment ist so magisch wie der, in dem wir den Wald betreten und damit in einen Raum vorstoßen, in dem die menschlichen Gesetze plötzlich aufgehoben scheinen. Eine Untersuchung dieser besonderen ästhetischen Erfahrung, entlang von drei Gemälden.

Paul-Philipp Hanske: „In der Ekstase blitzt die Möglichkeit einer belebten Welt auf“
Seit jeher nutzen wir Pflanzen, um uns in andere Bewusstseinszustände zu versetzen. Der Soziologe Paul-Philipp Hanske, selbst ein Freund der Ekstase, erläutert im Interview, warum die Geschichte unserer Spezies eng mit psychoaktiven Pflanzen verwoben ist.

Exkurs: Unheimliches Schattenreich
Mein Feind, der Baum
Seit Peter Wohlleben lieben wir Bäume noch mehr als vorher. Als stille Heilige, die unterirdisch tuscheln, kuscheln und milde Gaben spenden. Doch wenn man genau hinschaut, kann man auch ganz andere Exemplare finden.

Entfremdete Naturliebe
Natur liegt im Trend. Aber bezeugt nicht gerade die wachsende Sehnsucht, dass wir uns zusehends von ihr entfernen? Offenbart sich darin gar der Höhepunkt unserer Abwendung?

Pflanzen erträumen
„Wir brauchen eine andere Art von Welterzählung“
Nature Writing ist eine literarische Gattung der poetisch-essayistischen Naturbeschreibung. Im Gespräch erläutert die Autorin und Herausgeberin Judith Schalansky, wie sich eine Welt, die jenseits der Worte existiert, sprachlich erfassen lässt, und weshalb das Genre genuin politisch ist.

Pflanzen-Orte
Wälder und Wiesen sind nicht die einzigen Orte, an denen wir auf Pflanzen treffen. Menschen haben stets neue Stätten ersonnen, um Pflanzen zu hegen, zu pflegen und zu nutzen. Ein philosophischer Streifzug durch die modernen Begegnungsorte von Mensch und Natur.

Die letzte Ruhe
Immer mehr Menschen entschließen sich, ihre sterblichen Überreste am Wurzelwerk eines Baumes zu begraben. Woher kommt die Beliebtheit dieser Form der Bestattung? Auf den Spuren unserer Vorstellungen von Vergänglichkeit.

Pflanzen beherrschen
Michael Marder: „Wir müssen die Einzigartigkeit der Seinsweisen achten“
Prinzipien und Regeln des richtigen Handelns stellen wir längst nicht mehr nur für unsere Mitmenschen auf. Auch Tiere stehen mittlerweile im Zentrum ethischer Debatten. Folgen nun die Pflanzen? Im Interview plädiert der Philosoph Michael Marder dafür, ihnen als Subjekten zu begegnen und ihre Andersartigkeit ernst zu nehmen.

Umweltschutz in Grün-Braun
Entgegen heutiger Assoziationen war Naturliebe nicht immer ein primär linkes Phänomen. Ihre Anfänge fand die deutsche Umweltbewegung Ende des 19. Jahrhunderts im konservativen bis völkisch-nationalistischen Milieu. Auf den Spuren von Ursprüngen, die bis heute nachwirken.

Pflanzen als Machtmodelle
Bilder strukturieren sowohl unser Denken als auch unsere gesellschaftlichen Organisationsformen. Besonders wirkmächtig waren dabei seit jeher Modelle, die der Vegetation entlehnt wurden.

Malcom Ferdinand: „Wer der Umwelt helfen will, benötigt Respekt vor indigenen Gemeinschaften“
Für Malcom Ferdinand hängt die Klimakatastrophe direkt mit der Kolonialisierung indigener Bevölkerungen zusammen. Ein Gespräch über die Beziehung der Maroons – einer indigenen Gruppe, die der Sklaverei entkam – zur Natur und darüber, was wir von ihnen lernen sollten.

Die Pflanze als Vorbild
Von der Antike bis in die Moderne waren westliche Philosophen überzeugt: Die Pflanze ist das niederste Lebewesen, der Mensch muss jede Ähnlichkeit mit ihr vermeiden. Heute jedoch hat sich diese Vegetationsaversion in ihr Gegenteil verkehrt.
