Florence Burgat: „Die Zeit der Pflanzen hat weder Anfang noch Ende“
Kann man wirklich von Pflanzen als intelligenten Wesen, gar von Subjekten sprechen? Die Philosophin Florence Burgat warnt vor der Tendenz, die Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich um jeden Preis aufzulösen. Im Interview zeigt sie, wie deren Lebensformen sich fundamental unterscheiden.
Frau Burgat, worin liegt Ihrer Meinung nach das besondere Gefühl des Respekts, das wir für Bäume empfinden, begründet?
Wahrscheinlich liegt es an ihrer Größe und Langlebigkeit, an der Wiedergeburt, die sich ihren Betrachtern mit jedem neuen Gewand, das sie über das Jahr präsentieren, offenbart. Sie sind wie das lebende Zeugnis einer Geschichte, die wir uns nur grob vorstellen können. Es ist jedoch sofort zu bemerken, dass, wenn von Bäumen die Rede ist, es immer um majestätische und alte Bäume geht. Dasselbe Gefühl scheint kaum aufkommen zu wollen, wenn wir an junge, gebrechliche Sträucher denken, die aus dem einen oder anderen Grund aus dem Boden gerissen werden. Dies zeigt, dass es eher unsere Vorstellungen von großen, überwältigenden Bäumen sind, die dieses Gefühl prägen, als moralisch fundierte Kriterien. Die Schönheit der Pflanzenwelt und ihre Unberührtheit faszinieren uns gerade deshalb, weil unser sterbliches Dasein das Gegenteil von ihnen ist.
Sie verweisen auf Unterschiede zwischen uns und den Bäumen. Wenden Sie sich damit gegen diejenigen, die eine Kontinuität oder sogar eine Ununterscheidbarkeit der Lebensformen postulieren?
Historische und epistemologische Untersuchungen der Pflanzen offenbaren wesentlich differenziertere Ansichten, als die gegenwärtig fehlende Unterscheidung zwischen Pflanzen und Tieren oder sogar zwischen Pflanzen und Menschen suggerieren mag. Solch eine Ununterscheidbarkeit beruht entweder auf Analogien, die als Homologien aufgefasst werden – zum Beispiel, wenn man sagt, Pflanzen atmen und brauchen Wasser „wie wir“ –, oder sie basiert auf der Einschätzung, dass es eine Kontinuität der lebenden Materie im Kleinen gibt – auf molekularer Ebene sehen alle Organismen gleich aus und erfüllen die gleichen funktionellen Anforderungen. Dieser zweite Grund ist womöglich mit der derzeitigen Vorherrschaft einer reduktionistischen Biologie verbunden, die die Dimension der gelebten Erfahrung ignoriert. Ein weiterer Grund ganz anderer Art ist, dass die Postulierung einer Ununterscheidbarkeit es ermöglicht, alle ethischen Probleme zu umgehen, die sich im Zusammenhang mit psychobiologischen Lebensformen stellen und die für diese absolut einzigartig sind.
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