Die Resonanz der Wälder
Wir sind es gewohnt, die Natur zu verdinglichen. Für den Förster Peter Wohlleben und den Soziologen Hartmut Rosa sind Bäume jedoch mehr als nur Holz: Sie kommunizieren untereinander und können auch zu uns sprechen, wenn wir ihnen als Gegenüber begegnen. Aber wie? Sollten wir uns um sie sorgen – oder sie einfach in Ruhe lassen? Ein Gespräch über Unverfügbarkeit, Demut und die Notwendigkeit eines neuen Naturbegriffs.
Philosophie Magazin: Herr Wohlleben, Sie sind Förster. Warum haben Sie diesen Beruf gewählt? Hatten Sie schon immer ein enges Verhältnis zu Bäumen?
Peter Wohlleben: Ich war schon immer an der Natur interessiert und wollte schon als Sechsjähriger Naturschützer werden. Damals habe ich zum Beispiel Küken auf einem Heizkissen ausgebrütet. Bei dem österreichischen Zoologen Konrad Lorenz hatte ich gelesen, dass das Küken denkt, man sei die Mutter, wenn man mit ihm spricht. Und das hat tatsächlich geklappt! Nach der Schule habe ich darüber nachgedacht, Biologie zu studieren. Dann bin ich aber zufällig über eine Anzeige der Forstverwaltung gestolpert, die für einen internen Studiengang Bewerberinnen und Bewerber suchte. Und ich dachte, okay, eine Art „Ranger“, das klingt auch gut – wie man sich das eben laienhaft vorstellt. So ist es gekommen, dass ich Forstwirtschaft studiert habe. Also mehr oder weniger zufällig.
Herr Rosa, Ihr Heimatdorf liegt im Schwarzwald, Sie verbringen immer noch viel Zeit dort. Was genau reizt Sie an der Natur?
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