Hans Ulrich Gumbrecht: „Trump ist nur ein Platzhalter für die Leute, die ihn finanziert haben“
Die Wiederwahl Trumps weckt Ängste. Der in den USA lehrende Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hingegen sieht die wahre Gefahr in der zweiten Reihe und warnt vor einem radikalen Gesellschaftsumbau: Keine Steuern, keine Experten, keine Wahlen.
Herr Gumbrecht, schon 2020 sagten Sie, dass man Donald Trump nicht einfach als „Irrtum der Geschichte“ abtun könne. Er sei im Gegenteil das Symptom einer tiefergehenden Krise der parlamentarischen Demokratie. Das Wahlergebnis gibt Ihnen recht. Wie erklären Sie sich Trumps erneuten Erfolg?
Meine Analyse ist, dass Donald Trump wesentlich besser verstanden hat, wie mit dem politischen Ohnmachtsgefühl vieler Amerikanerinnen und Amerikaner umzugehen ist. Um das konkret zu machen: Das zentrale Element der parlamentarischen Demokratie ist Repräsentation. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich unsere Kommunikation allerdings massiv dadurch verändert, dass wir überwiegend elektronisch kommunizieren. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Gastprofessur in den USA, wo man alles weit vorher vereinbaren musste, weil man sich sonst einfach verpasst hat. Heute ist das anders, und wir sind stets vernetzt. Wir haben laufend das Gefühl, ohne Probleme senden und empfangen zu können. Demgegenüber ist jedoch die Struktur der politischen Repräsentation in der gleichen Zeit unglaublich kompliziert geworden. Kein Mensch stellt sich heute mehr vor, dass er oder sie wirklich einen Einfluss auf den Parlamentarier haben kann, den man gewählt hat. Man bestimmt zwar, wer im House of Representatives sitzt, aber die Idee, dass man je mit ihm ein Gespräch und somit auch politisch einen Einfluss haben könnte, existiert nicht. In diesem Auseinanderklaffen von Hyperkommunikation und politischem Ohnmachtsgefühl suggeriert Trump nun, dass es mit ihm letzteres nicht gibt. Er stellt sich bei McDonald’s an die Fritteuse, fährt den Mülltruck und sucht die direkte Kommunikation mit den Leuten, was suggerieren soll: „Schaut her, meine direkte Kommunikation mit euch überführe ich 1:1 in direkte politische Repräsentation für euch.“ All das soll deutlich machen, dass er weiß, dass die klassischen demokratischen Strukturen in ihrer Komplexität den wirklichen Amerikanern nichts bringen.
Wie hat Harris im Gegensatz dazu kommuniziert?
Bei genauerer Betrachtung gar nicht so anders. Im Wahlkampf haben beide auf das gesetzt, was ich „Resonanzkommunikation“ nennen würde. Wenn man genau hinschaut, ging es bei beiden Kandidaten nicht wirklich um Inhalte, sondern um Sympathien. Weder Harris noch Trump haben genau gesagt, was ihr Programm ist. Keiner der beiden hat wirklich einmal deutlich gemacht, was sie in der Zukunft tun werden. Und wenn man das Wenige, was sie mal dazu gesagt haben, nebeneinanderhält, ist das überraschend ähnlich. Es war deshalb ein Rennen zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Sympathieträgern und als US-amerikanischer Staatsbürger kann ich gut verstehen, warum sich die Mehrheit für Trump entschieden hat: Harris ist es nicht gelungen, ihr Bild von der abgehobenen Intellektuellen zu zerstreuen. Zumal als jemand, die auch als Staatsanwältin gearbeitet hat und damit zu einer Berufsgruppe gehörte, vor der viele Menschen Angst haben. Besonders, wenn die Person erfolgreich ist. Sie erweckte eben nicht den Anschein der Nahbarkeit, war eben nicht easily accessible. Und das wäre, so blöd es klingen mag, wichtig gewesen.
Ich muss hier noch einmal nachhaken: Sie haben nicht das Gefühl, dass sich die Programme von Harris und Trump unterscheiden?
Natürlich hat er das Project 2025 aufschreiben lassen, in dem eine Art von Agenda festgehalten ist. Aber aus Wählersicht war der Inhalt für diese Wahl weitgehend irrelevant. Das ist das eine. Und zum anderen sind die Vorstellungen, dass er überhaupt genau weiß, was Project 2025 umfasst, geschweige denn, dass er sich daran halten wird, inadäquate Vorstellungen. Ich denke, dass man dieses Gerede von Massendeportationen ähnlich behandeln muss wie das Gerede von der Mauer in seiner ersten Amtszeit, die nur zu einem Bruchteil umgesetzt wurde. Trumps wichtigstes Anliegen findet sich nicht auf einer inhaltlichen Ebene. Er möchte gerne im Weißen Haus sitzen und seinen weißen Bademantel mit „DT“ tragen.
Wo viele eine zweite Amtszeit mit katastrophalen Folgen erwarten, würden Sie also beruhigen?
Ich glaube, dass die kommenden vier Jahre nicht so schlimm werden, wie jetzt viele befürchten, ja. Aktuell wird viel von der Umstrukturierung Washingtons gesprochen, was ich ehrlich gesagt nicht sehe. Zumal die Regierung der einzelnen Bundesstaaten für das Leben der meisten Amerikanerinnen und Amerikaner viel wichtiger ist als die Frage, wer gerade Präsident ist. Und lassen Sie mich das noch hinzufügen: Ich sehe, woher die Irritation vieler Deutscher kommt, die sich jetzt fragen, wie ein angeblicher Millionär sich als Freund der kleinen Leute darstellen kann. Hier ist meine Antwort: Es ist egal, er kommt rüber wie ein netter Typ und schafft es, das Bild zu vermitteln, dass er der Boss im Raum ist. Unterstrichen wird das immer wieder durch die Phrase „Meine Berater haben mir X geraten, aber ich mache Y“. Damit holt er genau das Gefühl vieler Amerikanerinnen und Amerikaner ab, dass es irgendwelche Intellektuellen, Eliten, hochnäsigen Ivy-League-Absolventen gibt, die einem irgendwas sagen wollen, obwohl man sicherlich besser dran ist, wenn man einfach auf sein Bauchgefühl hört.
Klar ist auch, dass sich die USA mit dieser Wahl deutlich gegen eine Kandidatin entschieden haben, die die parlamentarische Demokratie repräsentiert, wie kaum eine andere Politikerin oder ein anderer Politiker.
Hier würde man sagen, „she went through all ranks“, sie hat als Vizepräsidentin das ganze Spiel mitgemacht. Aber genau das ist eben nicht attraktiv, was eine harte Einsicht ist. Denn die paradoxale Frage, die sich jetzt viele stellen, ist, was geschieht, wenn auf demokratischem Weg eine Regierung an die Macht kommt, die die Demokratie abschaffen will? Sollte man Mechanismen finden, um sowas von vornherein auszuschließen? Oder muss man vielleicht auch sagen: Okay, wenn die Mehrheit der Leute keine Demokratie will, muss man demokratischerweise die Demokratie abschaffen. Das ist eine paradoxe Struktur. Aber das ist die Situation. Wobei ich auch hier, anders als viele andere, zur Entspannung aufrufen würde. Denn da die Wahl so gut für Trump gelaufen ist, geben ihm demokratische Verfahren ja eher einen Legitimationsbonus. Entgegen allen Umfragen war die Wahl überhaupt nicht knapp. Die Demokratie in den USA ist kurz- und mittelfristig nicht gefährdet.
Und wie sieht die Langzeitperspektive aus?
Man kann das schlimmste Szenario in der Form einer Frage formulieren: Ist die parlamentarische Demokratie, die als wichtigste Konsequenz der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert entstanden ist, sich im 19. Jahrhundert weiter etabliert hat und spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg im 20. Jahrhundert einen globalen Siegeszug antrat, im 21. Jahrhundert durch demografische, wirtschaftliche und mediale Bedingungen an einen Punkt gekommen, wo sie nicht mehr funktioniert? Wenn ich das so formuliere, klingt es vielleicht so, als wäre ich für Trump, was ich ganz sicher nicht bin, weil ich Bürger der USA bin und dadurch unmittelbar betroffen. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Frage stellen müssen, weil wir sonst so tun, als wäre die parlamentarische Demokratie als Regierungsform von der Geschichte ausgenommen, was sie nicht ist. Sie ist meiner Meinung nach durch Trump konkret nicht bedroht. Ein viel größeres Augenmerk sollten wir meiner Meinung nach auf sein direktes Umfeld und deren Pläne für die Zukunft dieses Landes legen.
An wen und welche Pläne denken Sie?
Ich bin gut mit Peter Thiel bekannt, der früh in Facebook investiert hat, im Silicon Valley sehr einflussreich ist und J. D. Vance erfunden hat. Das kann man tatsächlich klar so sagen: Peter Thiel hat J. D. Vance erfunden. Und für den Hintergrund ist es immer interessant, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Donald Trump zwei Jahre älter ist als ich. Und ich bin 76. Die Zukunft, die man also vom gestrigen Wahltag hochrechnen muss, um klar zu sehen, wohin es geht, ist J. D. Vance. Als ich Thiel im März für mein Kolloquium „Die Krise der Repräsentation“ eingeladen habe, weil er im Gespräch fantastisch und insgesamt sehr belesen ist, auch wenn er viele Sachen sagt, die einem nicht passen, hat er mir erzählt, warum er in diesem Wahlkampf keinen Dollar für Trump gespendet hat.
Und was war Thiels Antwort?
Die war ganz klar: „Not enough discontinuity“ („Nicht genügend Diskontinuität“, „Kein ausreichender Veränderungswille“). Was ihn meiner Ansicht nach stört, ist die schon angesprochene Programmlosigkeit Trumps. Auf meine Nachfrage, was denn dann eine klare Diskontinuität, eine wirkliche Veränderung des Status Quo bedeuten könnte, entgegnete er, dass er das nicht weiß, er sich aber mehr davon wünscht. Ohne, dass er derartiges gesagt hätte, kann man aber in Richtung einer Abschaffung des Wahlsystems denken, um in längeren Regierungsperioden wirkliche Veränderungen durchsetzen zu können. Oder aber eine grundlegend andere Struktur des Militärs mit einer unabhängigen Armee. In diese Richtung geht es vermutlich in den Köpfen von Leuten wie Thiel aktuell.
Wenn ich Sie also richtig verstehe, machen Ihnen die kommenden vier Jahre Trump keine großen Sorgen, weil Sie die erste Amtszeit als Indiz dafür nehmen, dass es programmarm und symbolisch zugehen wird. Die potenziell nach Trump kommende, von seinem engsten Umfeld forcierte, von Vance verkörperte Diskontinuität allerdings stellt eine wirkliche Gefahr für das Land dar?
Der Gedanke an diese nächste Generation mit Vance als Frontmann macht mir tatsächlich große Sorgen, ja. Auch oder gerade, weil er ganz anders ist als Trump. Er stammt aus einer sehr armen Familie in Ohio, ist enorm intelligent, hat kaum etwas Populistisches an sich, hat politisch eine unfassbare Karriere und auch eine sehr ernsthafte Konversion zum Katholizismus hinter sich. Vance alleine hätte die Wahl nicht gewinnen können, was sowohl Thiel als auch ihm selbst klar war. Aber denken Sie für die Zukunft an Vance als den „Agent of Discontinuity“ („Treiber der Veränderung“). Der Plan geht in die Richtung: Keine Steuern, keine Experten, keine Wahlen. Das ist das eigentlich Interessante an dieser Wahl, dass die Möglichkeit für eine ganz andere Gesellschaft jetzt wesentlich realistischer ist. Nicht, was in den nächsten vier Jahren mit Trump passiert – was übrigens auch nur zwei Jahre werden könnten – sondern wie es danach weitergeht mit Trumps Umfeld, das sehr radikal denkt und einen ganz anderen Gesellschaftsentwurf vor Augen hat. Wenn man es ganz deutlich formulieren will, ist Trump ein Platzhalter für die, die jetzt schon um ihn sind.
Sie denken hier auch an Elon Musk, nehme ich an?
Selbstverständlich. Musk hat sich aus guten Gründen sehr lange nicht politisch positioniert. Das Problem an ihm ist aber, dass er sehr intelligent ist und gesehen hat, dass Trump als Platzhalter für seine Langzeitprojekte taugt. Und jetzt haben Vance, Thiel und Musk erst einmal vier Jahre Zeit, um sich zu überlegen, wie diese grundlegend andere Gesellschaft aussehen soll – und auch, um sich zu überlegen, ob sie eine nächste Wahl überhaupt wollen, wer der Kandidat sein könnte und so weiter. Da ist es aus deren Sicht sogar ein Vorteil, dass Trump ihnen nicht durch Inhalte in die Quere kommen wird, weil er keine hat. Dass Trump aus der Perspektive der Leute, die ihn finanzieren, als Platzhalter gewählt wurde, ist offensichtlich. •
Hans Ulrich Gumbrecht ist Albert Guérard Professor in Literature Emeritus an der Stanford University, Distinguished Professor of Romance Literatures an der Hebrew University, Jerusalem, und Distinguished Professor Emeritus an der Universität Bonn.