Jonathan Crary: „Die Krise des Schlafs ist auch eine Krise der Erde“
Wie steht es um den Schlaf in einer Welt, die keinen Stillstand mehr kennt? Jonathan Crary warnt vor der Bedrohung der Regeneration von Mensch und Natur in der westlichen Moderne. Im Gespräch erklärt er, mit welchen technologischen Entwicklungen der Stillstand abgeschafft wurde und warum Träume einst eine kollektive Dimension hatten.
Herr Crary, viele Menschen fühlen sich von dem konstanten Fluss an Nachrichten, Aufgaben und Produkten, der den Alltag bestimmt, überwältigt. Es scheint, als würde alles gleichzeitig passieren – eine Erfahrung, die der Kinofilm Everything Everywhere All at Once (2022) auf den Punkt gebracht hat. Ist der Schlaf die letzte Barriere, die wir angesichts einer sich scheinbar immer schneller drehenden Welt haben?
Jonathan Crary: Zunächst einmal würde ich ihn nicht unbedingt als „Barriere“ bezeichnen. Ich interessiere mich für das Problem des Schlafs, weil es die tiefgreifenden Unvereinbarkeiten zwischen der Logik der heutigen wirtschaftlichen und technologischen Systeme einerseits und den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen andererseits aufzeigt. Der Schlaf ist untrennbar mit alten gesellschaftlichen Mustern verbunden, die anhand der zyklischen Rhythmen der Jahreszeiten, von Tag und Nacht, von Arbeit und Ruhe organisiert sind. Und wenn es jetzt eine Krise des Schlafs gibt, dann ist es gleichzeitig eine Krise der Erde, der lebenden Systeme, denen Zeitintervalle zur Regeneration oder Erholung von katastrophaler Übernutzung verwehrt werden, seien es Wälder, Flüsse oder andere Lebensräume. Ich hüte mich also davor, das Thema Schlaf als etwas zu betrachten, das unabhängig von diesem größeren planetarischen Zusammenhang ist. Ein wesentliches Merkmal der westlichen Moderne ist die Überwindung aller Elemente vormoderner oder nichtwestlicher Gesellschaften, die auf Intervallen des Stillstands und der Unterbrechung von Aktivitäten aufgebaut waren, insbesondere in Bezug auf einen agrarischen Kalender.
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Kommentare
Vielleicht schläft man leichter, wenn man versucht, sich und seine Gruppen nur wahrscheinlich ausreichend zu befreien und ansonsten versucht, was wahrscheinlich am Besten für alle ist.
ich danke für den Artikel und die Möglichkeit, zu kommentieren.