Was die Kollegen dachten
Nach Kant war in der Geistesgeschichte nichts mehr wie zuvor. Die Philosophen in Kants Nachfolge dachten mit ihm, gegen ihn und über ihn hinaus. Eine Übersicht über die wichtigsten Positionen der Rezeption.
G. W. F. Hegel
1770–1831
Aus der Philosophie Kants erwächst wenige Jahre später der sogenannte Deutsche Idealismus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzt sich diese Strömung ausgiebig mit bestimmten Abschnitten des kantischen Werks auseinander. Die Philosophen Fichte, Schelling, Hölderlin und Hegel gelten als ihre bekanntesten Vertreter. Verhältnismäßig spät, aber enorm einflussreich legt auch Hegel ein philosophisches System vor, das maßgebliche Erkenntnisse Kants infrage stellt. Wie Kant die Vernunft in der theoretischen Philosophie einschränkt, ist für Hegel nicht hinnehmbar. Die ganze Welt ist für Hegel vernünftig aufgebaut. Wir bewegen uns schon immer innerhalb einer grenzüberschreitenden Vernunft. Mit anderen Worten: Die Vernunft zu entthronen heißt, den wahren Schlüssel zu unserer Welt zu verlieren. Ein Problem sieht Hegel besonders in der Trennung von Erscheinung und „Ding an sich“. Kant hatte immer wieder betont, dass wir keinen Zugriff auf die Dinge haben können, wie sie unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung beschaffen sind. Diese Trennung wird im Deutschen Idealismus problematisiert. Den Idealisten geht es um eine engere Verbindung von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt, um nichts weniger als die Erkenntnis des Ganzen als Ganzes. Kritiker sehen im Deutschen Idealismus einen Rückschritt in metaphysische Debatten, die Kant mühsam beendet hatte. Sicher ist: Hegels Philosophie und den wirkmächtigen Deutschen Idealismus hätte es ohne Immanuel Kant nicht gegeben.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Susan Neiman: „Der Begriff des Bösen ist zentral für Kants Gesamtwerk“
Die Philosophin Susan Neiman hält die Frage nach dem Bösen für ein Leitmotiv in Kants Schriften. Im Interview spricht sie über das Ringen mit einer Welt, in der Tugend und Glück auseinanderfallen. Mit Blick auf die Massaker vom 7. Oktober 2023 erklärt sie, warum man versuchen sollte, das Böse zu verstehen, zeigt aber auch auf, wo das Verstehen an seine Grenzen stößt.

Wozu Krise?
Manch einer verliert in der Krise den Kopf. Andere erfahren eine nie zuvor gekannte Schärfung des Denkens. Auch Philosophen waren, was den Wert der Krise angeht, höchst unterschiedlicher Ansicht. Hier die wichtigsten Positionen
Diderot und die Freiheit
Er zählte zu den wichtigsten Stimmen der französischen Aufklärung. Mehr noch als seine berühmten Kollegen Rousseau und Voltaire war Denis Diderot ein Denker der Freiheit im Leben und im Handeln.

Hegelwende zur Zeitenwende
Als 1989 die Berliner Mauer fiel, dachten nicht wenige, das Ende der Geschichte sei erreicht. Mit Hegel erklärten sie „den Kampf um Leben und Tod“ im liberalen Rechtsstaat für beendet. Auf dem Weg zur Welteinheit gebe es allenfalls soziale Kämpfe um Anerkennung. Heute jedoch kehren die Großmachtkonflikte zurück. Und mit ihnen der physische Ernst, von dem Hegel einst sprach.

Warum machen wir nicht mehr aus unserer Freiheit?
Wir sind so frei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und doch fühlen wir uns oft gefangen, erdrückt von Anforderungen, getrieben durch inneren Leistungszwang. Was wäre das für ein Dasein, könnten wir es auskosten. Den Augenblick genießen, anstatt ihn zu verpassen. Aus schalen Routinen ausbrechen, weniger arbeiten, Neues wagen – im Zweifelsfall auch gegen gesellschaftlichen Widerstand. Mehr Muße, mehr Lebendigkeit, mehr Spontaneität: Warum packen wir Kairos nicht beim Schopfe, wagen den entscheidenden Schritt? Sind wir zu feige? Zu vernünftig? Zu faul? Christoph Butterwegge, Claus Dierksmeier, Nils Markwardt, Robert Pfaller, Richard David Precht und Nina Verheyen über Wege in eine freiere Existenz.
Otfried Höffe: „Kant vermittelt uns eine Hoffnung aus guten Gründen“
Hat das Leben einen Zweck? Wie erlangen wir Zuversicht in einer Welt der Gewalt? Diese Fragen trieben schon Kant um. Ein Gespräch mit dem Philosophen Otfried Höffe über große und kleine Hoffnung, Kants dritte Kritik und darüber, warum uns die KI kategorisch unterlegen bleibt.

Da geht's lang!
Nie zuvor musste der Mensch so viele Entscheidungen treffen wie heute. Und nie zuvor nahm er so viel professionelle Unterstützung in Anspruch. Partnervermittlung, Motivationstraining, Wahrsagerei: Eine Reise durch die Welt der Wahlhelfer

Wer ist mein wahres Selbst?
Kennen Sie auch solche Abende? Erschöpft sinken Sie, vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, aufs Sofa. Sie kommen gerade von einem Empfang, viele Kollegen waren da, Geschäftspartner, Sie haben stundenlang geredet und kamen sich dabei vor wie ein Schauspieler, der nicht in seine Rolle findet. All diese Blicke. All diese Erwartungen. All diese Menschen, die etwas in Ihnen sehen, das Sie gar nicht sind, und Sie nötigen, sich zu verstellen … Wann, so fragen Sie sich, war ich heute eigentlich ich? Ich – dieses kleine Wort klingt in Ihren Ohren auf einmal so seltsam, dass Sie sich unwillkürlich in den Arm kneifen. Ich – wer ist das? Habe ich überhaupt so etwas wie ein wahres Selbst? Wüsste ich dann nicht zumindest jetzt, in der Stille des Abends, etwas Sinnvolles mit mir anzufangen?