Die andere Hannah Arendt
Thomas Meyer lässt die Legenden beiseite und leistet historische Detailarbeit: Seine Biografie erforscht das bisher kaum beachtete zionistische Engagement Hannah Arendts – und ermöglicht einen neuen Blick auf das Leben der Denkerin.
Wie erzählt man ein Leben? Noch dazu das einer großen Denkerin, deren Bild sich längst zur Ikone verfestigt hat? Thomas Meyer, Philosoph und Herausgeber der Hannah-Arendt-Werkausgabe, wählt in seiner vom Verlag bereits als „Standardwerk“ angekündigten Biografie einen zutiefst wissenschaftlichen Weg. Er verzichtet auf jegliche Literarisierung und Spekulation – und stützt sich ausschließlich auf belegbare, schriftliche Quellen. Es geht ihm dabei um etwas, das er zugleich als das Thema Hannah Arendts identifiziert: „erfahrene Gegenwärtigkeit“. Diesen Erfahrungen nähert sich Meyer jedoch nicht in der Form literarisch nacherzählter, Gegenwärtigkeit suggerierender Erlebnisse, sondern streng aus historischer Perspektive. Er beschreibt Arendts Leben eingebettet in die geschichtlichen Gegebenheiten ihrer Zeit, das heißt: die Erfahrung des Holocaust, der Flucht, des Exils. Dazu vergräbt er sich tief in den Archiven (die Danksagung am Ende des Buches umfasst eine beeindruckende Liste weltweiter Institutionen) und schließt anhand dieses schier endlosen, teils neu erschlossenen Materials viele Lücken des Forschungsgegenstands „Hannah Arendt“.
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Am Abgrund der Moderne
Hannah Arendt hat nicht nur die totalitäre Herrschaft analysiert, sondern auch die Traditionsbrüche beschrieben, die diese ermöglichte. Traditionsbrüche, die auch in Arendts eigenem Leben und Arbeiten Spuren hinterließen – und sie sehr sensibel für jegliche Gefahren in Demokratien machten. Was können wir heute noch in der Auseinandersetzung mit Arendts Arbeiten lernen? Ein Interview mit der Gründerin des Hannah Arendt-Zentrums Antonia Grunenberg.

War 68 in Arendts Sinne?
In der Biografie Daniel Cohn-Bendits hat die Theoretikerin des Totalitarismus ihre Spuren hinterlassen. Seine Eltern haben Hannah Arendt während des Krieges in Frankreich kennengelernt und sind ihr immer verbunden geblieben. Im Gespräch erzählt Cohn-Bendit von seinen Begegnungen mit Arendt und von dem Einfluss ihrer politischen Ideen auf sein eigenes Denken.

Hannah Arendt in New York
Hannah Arendt fand nach Jahren auf der Flucht eine neue Heimat in New York. Wie sah Arendts Leben in der amerikanischen Metropole aus? Eine Reportage von Helena Schäfer über „das Mädchen aus der Fremde“, das in New York zu einer Philosophin von Weltrang wurde.

Arendts Bedenken am Mehrparteiensystem
Warum spielen die etablierten Parteien in Frankreich kaum mehr eine Rolle? Weil sie nicht glaubhaft versichern können, dass sie im Interesse der Allgemeinheit handeln. Ihr Abstieg wurzelt, so Hannah Arendts These, im Mehrparteiensystem, das Bewegungen und Ideologie begünstigt und dem Etablierten misstraut.

Warum ist eine kritische Auseinandersetzung mit Hannah Arendt heute notwendig?
Hannah Arendt zählt zu den angesehensten Denkerinnen und wird von Liberalen und Linken gleichermaßen verehrt. Emmanuel Faye allerdings macht in ihrem Werk reaktionäre Züge aus und meint, dass ihr Denken zeitlebens von Heidegger geprägt blieb.

Warum ist Hannah Arendt so beliebt?
Hannah Arendts Denken ist über weite Teile offen, pluralistisch und radikaldemokratisch. Doch ein genauerer Blick in ihre Schriften zeigt, dass sie zugleich eine aristokratische Elite für unverzichtbar hielt. Ist gerade diese Spannung der Grund für ihre enorme Popularität?

Lyndsey Stonebridge: „Für Arendt bedeutet Freiheit auch, Souveränität aufzugeben“
Was können wir heute noch von Hannah Arendt lernen? Eine ganze Menge, wie Lyndsey Stonebridge in ihrem neuen Buch über die Denkerin zeigt, die selbst zeitweise staatenlos war und den Ungehorsam als Schlüssel für gesunde Demokratien verstand.

Kann sich Menschenwürde für alle nur jenseits nationalstaatlicher Souveränität erfüllen?
In seinem Buch Recht und Gemeinschaft. Zu Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte legt Friedrich Weißbach den paradoxen Kern der Menschenrechte frei, der sich an der rechtlichen Lage von Geflüchteten offenbart. Mit Hannah Arendt bietet er beachtenswerte Anregungen, wie sich Freiheit und Gleichheit denken ließen, die tatsächlich universell gelten.
