Früher war Wetter noch kein Klima
Der derzeitige Kälteeinbruch durch Tief Tristan offenbart sich nicht nur als journalistischer Jackpot, sondern zeigt auch: Wetterkommunikation verliert ihre gesellschaftlich befriedende Kraft.
Rauscht Tief Tristan dieser Tage über Deutschland – oder genauer gesagt: vornehmlich übers Einzugsgebiet von Aldi Nord – hinweg, ist das aus medialer Warte natürlich ein meteorologisches Million Dollar Baby. Gehört es doch zu den sperrangelweit offenen Betriebsgeheimnissen des Journalismus, dass Wetter immer geht, erst recht extremes. Denn Wetter, das kennen die Leute. Das interessiert die Leute. Da kommen die Leute nicht dran vorbei.
Zumal extremes Winterwetter gleich in dreifacher Hinsicht ein (boulevard-)journalistischer Jackpot ist. Erstens ermöglicht es die Berichterstattung im dramaturgischen Kriegsmodus. Wenn hierzulande das überdimensionierte Puschelmikrofon in der Primetime flattert und auf Bild.de von Außenreportern durchgesendet wird, erzeugt das auch in Sassnitz oder Sömmerda jenes stoppelbärtige CNN-Feeling, das man aus irakischen Wüstenstürmen kennt, während im Hintergrund das Marine Corps vorbeirollt. Entsprechend wird auch im meteorologischen Ausnahmezustand bedeutungsschwer von „Einsatzkräften“ gesprochen, die „pausenlos“ mit „schwerem Gerät“ für „Räumarbeiten“ im Einsatz sind, was wiederum zur Pflege der deutschen Nachkriegsidentität als zum THW zivilisierten Kettensägenkollektiv beiträgt.
Kann man nix machen
Zum Zweiten vermag die extremwinterliche Wetterberichterstattung diese Katastrophengeilheit jedoch mit Bildern des selbstvergessenen Schneespaßes zu kontrastieren. Zeichnen sich enorme Kälteperioden durch die Gleichzeitigkeit von disaster porn und Rodelvergnügen aus, lässt sich so ein wetterkommunikativer Mix erstellen, der die Zuschauer über einen nachrichtlich relativ langen Zeitraum auf die richtige Dopamin-Dosis einstellt. Drittens zeigt sich auch bei Wintereinbrüchen, was traditionell für jede Form der Wetterkommunikation gilt: Als solches erscheint Wetter unverfügbar und dementsprechend politisch unverfänglich. Auf meteorologische Phänomene kann man im Prinzip nur mit jenen universell anwendbaren Powersätzen Hannah Arendts reagieren, die sie im legendären Gespräch mit Günter Gaus fallen ließ: „Was will man da machen? Da kann man nix machen!“ Und gerade weil das so ist, fungierte Wetterkommunikation auch lange als alltagspraktische Komplexitätsreduktion. Ob mit Kollegen, den Schwiegereltern oder dem Sachbearbeiter: Bevor peinliche Stille entsteht oder man sich in politischen Kontroversen verfängt, konnte man stets aufs Wetter ausweichen, was dann zumeist in den kommunikativen Konsens führte, dass man da eben nichts machen kann.
Allein, der letzte Punkt hat sich geändert. Singt Rainald Grebe in seinem Song Die 90er „Den Eisbären ging es prima / Wetter war noch kein Klima“, ist dies in der Tat eine Rückblende in vergangene Zeiten. Oder genauer gesagt: Natürlich wäre es immer noch ein Fehler, Wetter mit Klima einfach gleichzusetzen oder aus dem einen monokausale Rückschlüsse auf das andere zu ziehen. Gleichwohl kann Wetter auch ein tendenzieller Ausdruck der Klimaveränderung sein. Wie genau, das hat etwa Friederike Otto, Leiterin des Environmental Change Institute der Universität Oxford, mittels ihres Buches Wütendes Wetter sowie der von ihr mitbegründeten Zuordnungswissenschaft gezeigt. Dass extremes Wetter also mitunter auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann, konnte man angesichts von Tief Tristan jüngst sogar in der BILD lesen. Dort legte Anders Levermann, Klimaphysiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dar, dass solche starken Wintereinbrüche – auch wenn es paradox klingt – mit der Erderwärmung zusammenhängen und in Zukunft öfter auftreten werden.
Grundpfeiler des Zusammenhalts
Nun gehört es aber zur Dialektik der klimawissenschaftlichen Aufklärung, dass die zunehmenden Einsichten über die Verbindungen von Wetter und Klima auf diskursiver Ebene nicht zu einer differenzierten Diskussion führen, sondern im Gegenteil, Wetter vermehrt zum polarisierenden Politikum avanciert. Man musste nach dem Eintreffen Tristans nur einen flüchtigen Blick in die sozialen Netzwerke werfen und entdeckte eine Reihe von Kommentaren, die jenem Homer Simpsons ähnelten, der angesichts seines zugeschneiten Vorgartens seiner klimaforschungsbewussten Tochter Lisa höhnisch erklärte: „Es sieht ganz so aus, als ob ich morgen drei Meter globale Erwärmung wegschaufeln muss!“ Auf Lisas Antwort, dass globale Erwärmung extreme Wetterlagen in beide Richtungen verursache, nämlich warm und kalt, antwortet Homer wiederum: „Du sagst also, die Erwärmung macht es kälter. Du bist die Königin vom Irrenland: Alles ist das Gegenteil von dem, was es ist!“
Bildet das zumindest einen ungefähren Teil der wetterkommunikativen Debattenlage ab, offenbart das einen weiteren autodestruktiven Grundzug des Menschen. Zerstört dieser mit dem anthropogenen Klimawandel doch nicht nur seine natürlichen Lebensgrundlagen, sondern beraubt sich en passant selbst auch eines der großen pazifizierenden wie komplexitätsreduzierenden Small Talk-Themen, welches in seiner unverfänglich konsensstiftenden Art lange einen Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenhalts bildete. Bei solchen Aussichten will man ja gar nicht mehr vor die Tür gehen. •