Weckruf Brexit - in welchem Zeitalter sind wir aufgewacht?
Über drei Jahrzehnte dominierte der Homo oeconomicus das politische Denken. Nach dem britischen EU-Referendum stellt sich die Frage: Welches Menschenbild gewinnt in Zukunft Wahlen?
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Welches Menschenbild steht hinter dem Bürgergeld?
Im Januar wird Hartz IV durch das sogenannte Bürgergeld ersetzt. Die Reform gibt dabei vor, von einem autonomen Menschenbild auszugehen. Felicitas Holzer untersucht das zugrundeliegende Autonomieverständnis und hegt Zweifel an dem Anspruch.

Geschichte kommt nach Hause
Am baldigen Brexit zeigt sich nicht nur die Verlogenheit von Teilen der britischen Elite, sondern auch eine historische Konstante einstiger Imperien
Das Denken im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
Denken zu können, das unterscheidet den Menschen mutmaßlich von allen anderen Wesen. Doch worauf beruht dieses Vermögen? Heißt Denken Rechnen? Besteht sein Wesen in der Fähigkeit, eigene Urteile zu fällen? Oder läge an seinem Grund gar das erotische Begehren nach Weisheit? Vor allem aber: Wie können wir uns in der Kunst des Denkens schulen?
Im Zeitalter immer leistungsstärkerer Denkmaschinen könnte sich an diesen Fragen nicht weniger als die Zukunft unserer Art entscheiden. Höchste Zeit also, gemeinsam darüber nachzudenken
In welchem Zeitalter leben wir?
Die Einteilung in erdgeschichtliche Abschnitte blieb lange Zeit der Geologie vorbehalten. Durch den zunehmenden Einfluss des Menschen auf den Planeten etabliert sie sich nun auch in den Sozialwissenschaften. Was aber prägt das gegenwärtige Zeitalter? Eine Übersicht zu fünf Konzepten.

Michael Walzer: „Wenn Trump gewinnt, muss Europa die Kraft der Freiheit sein“
Laut dem Philosophen Michael Walzer erleben wir in den USA den Aufstieg eines ethnischen, religiösen, weißen, christlichen Nationalismus, den es so noch nie gegeben hat. Das macht die Wahlen im November in den USA zu einem ebenso entscheidenden wie gefährlichen Moment für die Demokratie.

Und woran zweifelst du?
Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
„Linke müssen für die Aufklärung kämpfen"
Ob Großbritannien am 31. Oktober wirklich die EU verlässt, ist nach wie vor nicht sicher. Der Publizist und Marxist Paul Mason plädiert für ein zweites Referendum und für mehr direkte Demokratie in Europa

Judith Butler und die Gender-Frage
Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?
Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.