Authentischer Fake
„BeReal“ – „Sei echt!“ So heißt eine neue Social-Media-Plattform, die dem Inszenierungsdruck anderer Portale etwas entgegensetzen will. Doch kann das gelingen? Ein Deutungsversuch mit Jean-Paul Sartre.
Vor allem Instagram entwickelt sich immer mehr zu einer Bühne, auf der mit Filtern und Bildbearbeitungen ein verzerrtes und idealisiertes Bild der Wirklichkeit und vor allem der eigenen Person geschaffen wird. BeReal will eine solche Inszenierung gar nicht erst zulassen. Einmal am Tag bekommen alle Nutzer gleichzeitig zu einem zufälligen Zeitpunkt eine Mitteilung, nach der sie dann zwei Minuten Zeit haben, ein Bild von sich zu posten, genau dort, wo und wie sie gerade sind – in der U-Bahn, vor dem Laptop, im Bett. Führen uns diese Bilder tatsächlich näher an ein authentisches Selbst der abgebildeten Person? Jean-Paul Sartre wäre skeptisch. Ihm zufolge besteht Authentizität gerade im Eingeständnis, dass wir niemals ganz wir selbst sind: Der Mensch ist nicht „an sich“, sondern immer auch „für sich“ und „für andere“. Selbst wenn wir ein Bild auf dem Klo machen, verhalten wir uns zu diesem verinnerlichten Blick von außen. BeReal verkennt mit seiner Forderung des Authentischen diese Seinsweise des Menschen und damit auch den Zwang zum Selbstentwurf. In dieser Hinsicht kann ein klug inszenierter Filter auf Instagram vielleicht sogar ehrlicher sein als die immer gleichen U-Bahn-Selfies von BeReal. •
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