Die Coronakrise war vielleicht erst der Anfang
Seit zwei Jahren leben wir in einer Pandemie. Die finanzpolitische Reaktion auf diese anhaltende Krise bestand dabei vor allem im Drucken von Geld. Das machte deutlich: Wenn Regierungen wirklich wollen, sind vermeintliche Haushaltszwänge kein Problem. Für kommende Krisen müssen daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Das Offensichtlichste wiegt am schwersten: Die Entscheidungsträger der Welt haben uns eine erschütternde Demonstration ihrer kollektiven Unfähigkeit geliefert und gezeigt, dass sie nicht begreifen, was es wirklich bräuchte, um diese zutiefst globalisierte und vernetzte Welt zu regieren, die sie geschaffen haben. Nur in einem Bereich ist eine gewisse konzertierte Reaktion gelungen: bei Geld und Finanzen. Doch die Maßnahmen, mit denen es Regierungen und Zentralbanken gelingt, das weltweite Finanzsystem zusammenzuhalten, tragen langfristig zu Ungleichheit und sozialer Polarisierung bei. Wenn die Coronakrise ein Testlauf war, sollten wir uns Sorgen machen.
Das Scheitern war vorhersehbar. Globale Institutionen wie die Vereinten Nationen, der Internationale Währungsfonds und die Weltgesundheitsorganisation hatten sich als Instrumente der Koordinierung und Zusammenarbeit schon lange vor der Pandemie als fragil und zahnlos erwiesen. Grund für dieses Scheitern war meist geopolitischer Antagonismus: Machtblöcke konnten zu keiner Einigung kommen, wenn sie konkurrierende Prioritäten und Ziele verfolgten. Es war daher eine verlockende Vorstellung, dass eine gemeinsame Bedrohungslage – vielleicht eine außerirdische Invasion – die Vereinten Nationen hätten Wirklichkeit werden lassen. Das Coronavirus, so könnte man meinen, war genau eine solche Invasion. Doch die internationale Zusammenarbeit versagte. Anstelle eines abgestimmten Shutdowns im weltweiten Luftverkehr wurden die Grenzen kurzerhand geschlossen; an den Flughäfen wurden Lager für Schutzausrüstungen angelegt; willkürliche Reiseverbote bestehen teilweise bis zum heutigen Tag.
Amerikas Unfähigkeit, in dieser Lage eine Reaktion zu koordinieren, war keineswegs ein nebensächliches Problem. Ob es einem gefällt oder nicht: Dieser Nationalstaat von kontinentalem Ausmaß mit der größten Wirtschaft der Welt, der Europa, Südamerika und dem Pazifik gegenübersteht, ist für den heutigen Globalismus konstitutiv. Es war eine fatale Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Donald Trump, der erste amerikanische Präsident, der dies nicht anerkannte, im Weißen Haus saß, als eine wirklich globale Krise ausbrach. Das führte dazu, dass von Covid auch als der ersten „postamerikanischen“ Krise gesprochen wurde. Die Coronakrise hat gezeigt, dass Missstände in den USA ein Problem für die ganze Welt sind.
Die Entwicklung der Covid-Vakzine war ein kollektiver Triumph von Forschern, Regierungen und Unternehmen in aller Welt. Trumps Operation Warp Speed war dabei die erfolgreichste von allen. Doch dieses Programm wurde von den Bedürfnissen der USA bestimmt – nicht von denen der Welt. Es ist ein Skandal, dass sich die USA unter Trump nicht einmal der COVAX-Initiative der Vereinten Nationen angeschlossen haben. Selbst nach der Einführung des Impfstoffs im Jahr 2021 horteten die USA weiterhin Impfdosen. Das Versäumnis, ein globales Impfprogramm zu entwickeln, ist nicht nur bestürzend. Es sollte auch zutiefst überraschen: Es widerspricht den Eigeninteressen der reichsten Länder der Welt. Abgesehen vom Thema Auffrischungsimpfungen – je größer das Infektionsvolumen, umso größer das Risiko von Varianten, die noch gefährlicher sind als Delta.
Und umso größer ist auch der wirtschaftliche Schaden. Im Juli schätzte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass eine Investition von 50 Milliarden Dollar in eine umfassende Impfkampagne und andere Maßnahmen zur Virusbekämpfung bis 2025 weltweit etwa 9 Billionen Dollar an zusätzlicher Produktion generieren würde – ein Verhältnis von 180 zu 1. Welche Investition könnte eine höhere Rendite versprechen? Und dennoch ist keines der G-20-Mitglieder aktiv geworden, weder die EU noch die USA, nicht einmal China. Milliarden von Menschen werden bis 2023 warten müssen, um überhaupt ihre erste Impfung zu bekommen. Dieses Versagen ist umso eklatanter, als in der Pandemie noch etwas offensichtlich wurde: Geld ist eine reine Formsache. Die klaren Grenzen für finanzielle Nachhaltigkeit, die – wie wir früher glaubten – von unnachgiebigen Anleihemärkten kontrolliert werden, wurden durch die Finanzkrise von 2008 verwischt. Im Jahr 2020 wurden sie ausgelöscht. Regierungen auf der ganzen Welt machten so viele Schulden wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und dennoch sanken die Zinssätze. Während der private Sektor schrumpfte, expandierte der öffentliche Sektor. Als die Staatsdefizite wuchsen, reagierte das Geldsystem elastisch. Die Staatsausgaben glichen den Verlust an privaten Einkommen und Ausgaben aus.
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