Die Macht der Metamedien
Nachdem Facebook, Twitter und Co. Donald Trump ins analoge Exil verbannten, inszenierten sich deren Chefs als Retter der Demokratie. Doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Big Tech weiterhin vor allem eines forciert: eine gefährliche Privatisierung der Öffentlichkeit.
Mark Zuckerberg, CEO von Facebook, sprach von „schockierenden Ereignissen“, Googles Geschäftsführer Sundar Pichai von einer „Antithese der Demokratie“, während Apple-Chef Tim Cook bekundete: „Ich dachte, ich bin in einer Art alternativen Realität [...], dies konnte doch nicht wirklich passieren.“ Die kalifornischen CEOs waren regelrecht erschüttert vom Geschehen, das sich am 6. Januar vor ihren und den Augen der Weltöffentlichkeit Bahn brach. Doch fand Big Tech schnell wieder Worte und reagierte auf den Kapitol-Sturm mit einer ungewöhnlichen Einigkeit. Fast sämtliche Services erkannten in den Aussagen Trumps die Gründe der Eskalation, machten seine haltlosen Anklagen, seine beständigen Beleidigungen und „alternativen Fakten“ für den menschgewordenen Shitstorm verantwortlich – und kappten die Kanäle. Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und Youtube verbannten den Ex-Präsidenten ins analoge Exil, Apple und Google warfen das rechte Netzwerk Parler aus ihren App-Stores. Amazon zog gleich ganz den Stecker und ließ ausrichten, dass der hauseigene Cloud-Dienst Parler nicht mehr hosten werde.
Die digitalen Räumungsaktionen entfachten weitestgehend zwiespältige Reaktionen. Die einen waren erleichtert, fühlten sich befreit von dem mächtigsten Twitterer der Welt und hielten den Schritt für längst überfällig. Die anderen erkannten eine konzerngetriebene Zensur, die Beschneidung der freien Meinungsäußerung oder verwiesen auf das rhetorische One-Trick-Pony der ominösen „Cancel Culture“. Auch Twitter-CEO Jack Dorsey zeigte sich innerlich zerrissen: Er hielt den eigens exekutierten Trump-Bann für einen „gefährlichen Präzedenzfall“, das Deplatforming für „zerstörerisch den edlen Zielen und Idealen des offenen Internets“ gegenüber, nannte es einen „Fehler“ – und doch die „richtige Entscheidung“. Lange habe sein Netzwerk für Politiker Sonderegeln gelten lassen, Trumps tägliches digital intox als „newsworthy“ angesehen, doch die Dynamik und die „unhaltbaren Umstände“ machten die Sperrung seines Accounts unumgänglich.
Infrastrukturwandel der Öffentlichkeit
Dorsey erschrak fast vor der eigenen Bürde, der „Macht eines Einzelnen oder eines Unternehmens über einen Teil der weltweiten öffentlichen Debatte“ und bemühte sich klarzustellen, dass man Inkonsistenzen beheben, zukünftig für mehr Transparenz sorgen wolle und betonte, dass die präsidiale Exkommunikation keine konzertierte Aktion der Konzerne gewesen sei, sondern eine (selbst-)justierende „Geschäftsentscheidung“, die zwar gänzlich anders verlaufe als staatliche Zugangsbeschränkungen, sich aber „ähnlich anfühle“. Dies waren erstaunliche Aussagen. Weniger ob der emotionalen Ambivalenz oder dem Eingeständnis, die eigenen Plattformpolitiken zu überdenken. Erstaunlich war vielmehr die Selbstproblematisierung des CEOs und das letztlich fast schon ostentativ proklamierte Unbehagen, für die öffentliche Sphäre mitverantwortlich zu sein.
Stets wollten sich die IT-Konzerne als neutrale Plattformen verstanden wissen und als radikaldemokratische, gleichsam überparteiliche Intermediäre wahrgenommen werden. Sie wünschen dies noch immer. Es wäre einfacher und besser fürs Geschäft. Doch die Netzwerkbetreiber sind keine bloßen Tech-Companies mehr. Sie haben schließlich etwas befördert, was man in Anlehnung an Jürgen Habermas als einen plattformökonomischen Infrastrukturwandel der Öffentlichkeit bezeichnen kann. Schon in den 1960er Jahren hatte der Philosoph eine grundlegende Veränderung in der öffentlichen Sphäre und damit einen Prozess beschrieben, der die Herstellung der Öffentlichkeit seit dem 19. Jahrhundert – qua Geschäftspresse, später Massenmedien – mit ihrer zunehmenden Kommerzialisierung verband. Habermas erkannte dabei, wie die öffentlichen mehr und mehr durch private Interessen geprägt wurden und dabei neue Vermachtungsformen entstanden, die den Diskursraum in ein „Medium der Werbung“ verwandeln und „eine Art Refeudalisierung“ forcierten, sich also eine schleichende Oligopolisierung der öffentlichen Sphäre vollzog.
Diese Entwicklung hat sich mit den heutigen Plattformen auf einer vorgelagerten, programmatischen Ebene intensiviert. Was früher nur Redaktionen und massenmedialen „Gatekeepern“ oblag, wird nun von Algorithmen übernommen, die Relevanzen nach aufmerksamkeitsökonomischen Performanzen sortieren und immer mehr regeln, was die User, wann, wie und von wem zu sehen bekommen. Die individualisierten „Newsfeeds“ lassen sich dann mal als angenehme Filterbläschen, mal – mit Blick auf verschwörungsideologische und extremistische Inhalte – als eruptive „Filter-Clashs“ (Bernhard Pörksen) lesen, doch immer orchestrieren sie ganz persönliche Öffentlichkeiten – auf den schwarzen Spiegeln unserer Smartphones, durchkommerzialisiert as a service.
Technologische Souveränität
So haben die Plattformen den Debattenraum fragmentiert, zuweilen polarisiert, sie sich selbst zu Metamedien entwickelt, die die Privatisierung der Öffentlichkeit so weit trieben, dass nicht nur jeder Einzelne zum öffentlichen Sender werden kann, sondern sich die Infrastrukturen dazu in nur wenigen oligopolistischen Händen wiederfinden. Dieser Entwicklung folgt eine ganz eigene Souveränität, eine infrastrukturelle Macht, die zunehmend und ganz direkt-technokratisch die (Community-)Standards der Öffentlichkeit setzt – jenseits demokratischer Legitimation. Genau dadurch werden die Plattformen immer häufiger zum Politikum, da weder ihre normativen Kräfte noch ihre ökonomischen Kalküle unpolitisch sind.
Vor diesem Hintergrund scheint das Deplatforming Trumps eine Wende zu markieren. Denn in der anbrechenden Selbstproblematisierung Dorseys reflektiert sich nicht allein eine fragwürdige technologische Souveränität, sondern ist auch eine Position umrissen, die Tech- endlich als Medienunternehmen zu verstehen und sie als solche in die Verantwortung zu nehmen. So sollte man sich keineswegs von den wohlfeilen Geschäftsentscheidungen und der annoncierten Selbstregulierung blenden lassen. Denn während sich die Plattformen aktuell gern mit den Räumungsdiensten im Zeichen der Demokratie profilieren und ihre CEOs sich zwar als „Geschockte“, aber entschieden Handelnde inszenieren, widersprechen ihre Interessen andernorts nur allzu leicht und immer wieder den vorgetragenen Kodizes.
Konnte Sundar Pichai etwa das, was er am 6. Januar sah, als „Antithese der Demokratie“ beschreiben, wäre es durchaus interessant zu erfahren, wie er Googles Position im aktuellen Rechtsstreit mit Australien und die Verantwortung für die öffentliche Sphäre dort einschätzt. Kürzlich drohte die Suchmaschine nämlich der australischen Regierung mit der Einstellung des Services, weil man sich nicht mit den Verlegern und Nachrichtenproduzenten, der vierten Gewalt im Staat, über die „Details“, also die Gebühren für journalistische Inhalte einigen konnte. Während sich der Ministerpräsident Australiens, Scott Morrison, für eine neue Gesetzgebung und die Verleger – „Wir reagieren nicht auf Drohungen“ – einsetzte, unterstrich die Verhandlungsführerin Googles, Mel Silva, den ökonomischen Standpunkt ihres Unternehmens: „Das ist keine Drohung, das ist die Realität.“
Die Frage nach der „Realität“ bzw. Souveränität ist in Australien noch nicht abschließend beantwortet. Angesichts der Ereignisse im Januar dürfen wir aber nicht nur dort gespannt sein, wer zukünftig über die Kanäle der Ausnahme- und Normalzustände entscheidet. •
Anna-Verena Nosthoff ist Publizistin, Philosophin, politische Theoretikerin und lehrt an der Universität Wien. Felix Maschewski ist Publizist, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler und lehrte zuletzt an der FU Berlin. Ein ausführlicher Beitrag der Autor:innen zum Thema erscheint im Sonderband „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit?“ (Hrsg. Sebastian Sevignani und Martin Seeliger) des „Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft“ im Sommer 2021.